Nach dem kurzfristig digitalen Sommersemester 2020 hatten Studierende und Lehrende allerorten auf ein Wintersemester mit viel Präsenzlehre gehofft. Daraus wird leider wenig: Die meisten Universitäten sehen auch im Winter 2020/21 keine Alternative zur virtuellen Lehre. Gleichzeitig wächst auch die Bedeutung anderer digitaler Studienformate. Wir haben uns mit dem Gründer der Jura-Lern-App Jurafuchs unterhalten. Christian Leupold-Wendling hat seine Großkanzlei-Anwaltsrobe an den Nagel gehängt, um diese App auszufuchsen. Hier sind unsere Fragen und seine Antworten.

Christian, Du hast einen vielseitigen Lebenslauf: Erst Anwalt bei Hengeler, dann Gründer von Jurafuchs. Ist das ein Aufstieg oder ein Abstieg?

Christian Leupold-Wendling: Vielen Dank für das Lob! Zunächst einmal ist es für mich persönlich ein Fortschritt, weil es der nächste logische Karriereschritt ist. Ich habe als Student ja schon einmal gegründet, und zwar den deutschen Ableger einer internationalen Menschenrechtsorganisation (IJM Deutschland e.V.). Gründen ist meine Leidenschaft. Ich liebe aber auch juristisches Arbeiten und juristische Bildung. Es passt also alles gut zueinander und ich profitiere bei Jurafuchs auch enorm von meiner Ausbildung bei Hengeler Mueller. Insbesondere Legal Writing ist etwas, wofür es meines Erachtens eine Schule geben sollte. Ich hatte das Glück, bei Hengeler Mueller bei den Veteranen Henning Bälz und Wolfang Spoerr lernen zu dürfen. Das ist meines Erachtens eine der anspruchsvollsten Schulen, die man durchlaufen kann.

Was ich bei Hengeler sehr geschätzt habe: Die Lernkurve war sehr steil. Es ist ein sehr inspirierendes und anspruchsvolles Umfeld. Das ist bei Jurafuchs ähnlich, nur in anderen Disziplinen. In den letzten zweieinhalb Jahren habe ich mich sehr stark weitergebildet in Sachen digitales Marketing, Produktentwicklung (UX), Fundraising, Recruiting usw. Ich genieße sehr die Vielseitigkeit meiner Tätigkeit bei Jurafuchs. Was die zur Verfügung stehenden Ressourcen angeht, war es natürlich zunächst ein Rückschritt. Was die persönliche Freiheit und den Grad der Fremdsteuerung angeht, ist es wiederum ein enormer Fortschritt. Persönlich könnte ich mit der Arbeitssituation derzeit nicht glücklicher sein.

Nach einem gewissen Testlauf kostet die Jurafuchs-App Geld. Warum ist das für Jurastudierende eine gute Investition?

Christian Leupold-Wendling: Bildung ist fast immer eine gute Investition. Dafür brauchen wir glaube ich keine Werbung zu machen. Die Frage ist aber natürlich: Was bringt mir Jurafuchs im Jurastudium und ist es verglichen mit anderen Lernmitteln eine gute finanzielle und zeitliche Investition? Unsere Antwort: Es bringt sehr viel, der zeitliche Aufwand lässt sich stets den individuellen Bedürfnissen anpassen, und es ist sehr günstig.

Unsere Abos starten aktuell bei € 5,99 im Monat. Dafür bekommen die Studierenden anspruchsvolle Fälle – mittlerweile über 10.000 Fragen –, aktuelle examensrelevante Rechtsprechung aus allen Rechtsgebieten, Hilfe auf der Motivationsseite und ein hochwertig moderiertes Forum. Welchen Lernwert Jurafuchs hat, zeigt sich wahrscheinlich nirgendwo besser, als auf unserer Streak-Rangliste: Niemand lernt über 745 Tage in Folge mit einer App, die nicht liefert. Tatsächlich ist es so, dass Jurafuchs einzigartig ist und es auch derzeit nichts Vergleichbares gibt. Wir sind davon überzeugt, dass wir mit unserem Vierklang Apps, Microlearning, Gamification & Community Neuland in der juristischen Ausbildung beschreiten, das bei den Studierenden sehr gut ankommt.

Übrigens: Wir haben nichts dagegen, wenn die Universitäten die Lizenzgebühren übernehmen, so dass die Studierenden Jurafuchs kostenlos nutzen können. Wir haben in der Corona-Krise für drei Monate sogar rund der Hälfte der deutschen Fakultäten kostenlose Campus-Lizenzen für alle Studierenden zur Verfügung gestellt. Allerdings fast überwiegend auf ausdrücklichen Wunsch der Fachschaften. Die Fakultäten setzten sich da deutlich weniger für ihre Studierenden ein. Es ist eine immer noch weit verbreitete Auffassung, dass Universitäten für den Erwerb digitaler Lernmittel „nicht zuständig“ wären. Auch von dem fehlgeleiteten Mantra, dass Universitäten „keine kommerziellen privaten Lernangebote“ unterstützten, können sich viele bislang nicht lösen. Dabei scheint es kein Störgefühl auszulösen, dass im Print-Bereich andere Regeln gelten und Universitäten selbstverständlich die gängigen Produkte großer Verlage beziehen, die ein privates Gewinninteresse haben. Schließlich gibt es ganz profan enorme Berührungsängste der älteren Generation mit dem Medium Apps. Wir sind aber überzeugt, dass die Vorzüge von digitalen Lernmedien sich durchsetzen werden. Gerade der Vergleich zum Lehrbuch zeigt, dass die Erkenntnis- und Reaktionsmöglichkeiten einer Redaktion auf die inhaltlichen Bedürfnisse der Studierenden über eine App deutlich präziser und agiler sind als etwa bei einem dicken Jura-Wälzer.

Was bringt Microlearning für Macroexamina?

Christian Leupold-Wendling: Microlearning ist ein schillernder Begriff, dem unterschiedliche Bedeutungen beigelegt werden können. Wir verstehen darunter: Lernen in kurzen Schritten und kleinen Einheiten, sofortige Rückkopplung, d.h. Kontrolle des Lernerfolgs, und eingebaute Wiederholungen. Zur Effektivität von Microlearning beim Sprachenlernen gibt es zwei große, aussagekräftige Studien: Nach einer Studie von Wissenschaftlern der City University of New York und der University of South Carolina aus dem Jahr 2012 brauchten Duolingo-Nutzer im Schnitt 34 Stunden mit der Sprachlern-App, um sich den Lernstoff eines Studiensemesters anzueignen. Mit Babbel benötigten Nutzer dafür sogar nur 21 Stunden, wie die gleichen Forscher 2016 herausfanden. Wir denken, dass sich dieser Erfolg im Sprachenlernen auf das Jurastudium übertragen lässt.

Was wir nicht unter Microlearning verstehen: beschränkte Themen und einfache Aufgaben. Unseres Erachtens benötigt man für das Erste und Zweite Juristische Staatsexamen eine gehörige Portion Grundwissen, viel Übung in juristischer Fall-Lösungs-Technik, einen guten Überblick in Form von Strukturwissen und im besten Fall verfolgt man noch die aktuelle Rechtsprechung zumindest überblicksartig. All das bilden wir in unserer App ab. Anfangs mit einem klaren Fokus auf Rechtsprechung und Fall-Lösungen. Zunehmend aber auch mit Struktur- und Überblickswissen in Form von Gruppierungsaufgaben und Aufgaben zu Reihenfolgen und Hierarchien. Weitere Formen der Wissens- und Verständnisvermittlung sind bereits in Arbeit. Die in der Jurafuchs App besprochenen Themen reichen inhaltlich von der Kausalität im Strafrecht und den Bestandteilen einer Willenserklärung über den Geheißerwerb im Sachenrecht, das Gesamthandseigentum als „ein die Veräußerung hinderndes Recht“ im Rahmen der Zwangsvollstreckung bis hin zur Entscheidung des BVerfG zum Kopftuchverbot für Referendarinnen.

Ergänzend zu unseren Inhalten, lernen unsere Nutzerinnen im Dialog miteinander. Wir sehen Community als ganz entscheidende Dimension, den individuellen Lernfortschritt zu beschleunigen. Einerseits können wir nicht alle Fragen antizipieren, die bei unseren Nutzerinnen entstehen, wenn sie unsere Aufgaben lösen. D.h. egal wie gut unsere Erklärungstexte geschrieben sind: Es wird immer Fragen geben, die sie nicht beantworten. Andererseits ist die Beantwortung der konkreten Fragen der Nutzer der sicherste Weg, etwaige Irrtümer auszuräumen und das juristische Gedankengebäude bei unseren Nutzern zu komplettieren. Deshalb haben wir zu jeder Aufgabe ein eigenes Forum eingerichtet und moderieren fortlaufend alle neuen Threads. Unsere Community und unsere Moderatoren haben bereits über 80% aller Fragen beantwortet.

Übrigens sehen wir Jurafuchs nicht allein als Tool zur Examensvorbereitung. Unser Anspruch ist deutlich breiter: Wir wollen umfassende juristische Bildung ermöglichen. Natürlich liegt der Fokus weiterhin auf der Fall-Lösung und dem examensrelevanten Kernstoff. Wir haben aber ergänzend vor Kurzem damit begonnen, häufig vernachlässigte Grundlagenfächer wie Rechtsgeschichte, Rechtstheorie & Methodenlehre zu besprechen. Zudem machen wir gerade eine Reihe von Experimenten mit Zusatzqualifikationen, wie z.B. Mathematik & Statistik für Juristen.

Was hat sich nach Eurer Wahrnehmung in der Corona-Krise am Lernverhalten von Jurastudierenden geändert?

Christian Leupold-Wendling: Wir beobachten nur einen Teil des Lernverhaltens von Jurastudierenden. In diesem Rahmen haben wir qualitativ und quantitativ gemessen, dass die Studierenden einen deutlich gesteigerten Bedarf an unseren Apps, an einer Hilfestellung in Sachen Motivation und am Austausch haben. Konkret haben sich die Anzahl der zahlenden Nutzer und der Umsatz etwa verdreifacht seit Ausbruch der Corona-Krise. Die Anzahl der beantworteten Fragen pro Nutzer hat sich verdoppelt, die tägliche durchschnittliche Verweildauer in der App hat sich um 20% gesteigert.

All das freut uns natürlich sehr und es ist sicher auch nicht nur auf Corona zurückzuführen. Wir sind als Startup unabhängig davon in einer rasanten Wachstumsphase. Seit Ausbruch der Corona-Krise fühlen wir uns aber auch mitverantwortlich, dass die Studierenden in dieser Situation nicht alleingelassen werden und trotz erschwerten Bedingungen im Stoff vorankommen. Wir haben deshalb in dieser Phase auch geliefert: Insbesondere haben wir die Anzahl der neuen Aufgaben, die wir monatlich in die Jurafuchs App laden, verdreifacht. Entscheidend dafür sind unsere exzellenten wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen, die die Freude an Jura mit der Begeisterung für Jurafuchs und der Digitalisierung des juristischen Lernens verbinden. Und wir bekommen dauerhaft hervorragende Bewerbungen und bemühen uns, so vielen wie möglich einen Job zu geben.

Sind Apps das neue Repetitorium? Wie sieht das Jurastudium der Zukunft aus?

Christian Leupold-Wendling: Apps sind ein wesentlicher Teil der Zukunft des juristischen Lernens. Wir haben dazu letztes Jahr unsere Gedanken einmal aufgeschrieben und in der RI (Recht Innovativ) veröffentlicht. Es gibt (neben zahlreichen kleinen) vier große Innovationen für juristische Bildung, die in Jurafuchs stecken: Apps, Microlearning, Gamification & Community. Jurafuchs hilft dabei, das Selbststudium zu erleichtern, die Motivation beim Lernen aufrechtzuerhalten, und bietet eine hochwertige Diskussionsplattform.

Präsenzunterricht wird dadurch keinesfalls abgelöst – ob an der Uni oder im Rahmen von Repetitorien. Wir glauben an die Vision des „Flipped Classroom“, d.h. dass Hausaufgaben und die Stoffvermittlung vertauscht werden, so dass die Lerninhalte zu Hause von den Lernenden erarbeitet werden und die Anwendung und Klärung von Fragen im Unterricht erfolgt. Dies befreit die Präsenzphase von der Last der Vermittlung umfangreichen Faktenwissens und fördert die Wissensanwendung. Dies ist gerade für Jura unerlässlich und kommt nach unserem Dafürhalten in der klassischen Ausbildung deutlich zu kurz. Zudem wissen die Lehrenden im Optimalfall, mit welchem Wissensstand, welchem Vorwissen und welchen Schwierigkeiten ihre Studierenden in die Vorlesung kommen. Ich habe das selbst erlebt während meines LL.M.-Studiums in Cambridge: Eine sehr umfangreiche und zielgerichtete Vorbereitung auf Seiten der Studierenden verändert die Dynamik im Unterricht. Es werden viel mehr gute Fragen gestellt, Vorlesungen sind mehr Dialog als Monolog. Die Studierenden können ihr eigenes Wissen anwenden und Identifikation im Umgang mit ihrem Fach entwickeln. Und sie haben auch mehr Spaß an den Vorlesungen.

Herzlichen Dank für Deine aufschlussreichen Antworten! Dir und dem Jurafuchs weiterhin viel Erfolg!

Disclaimer: Dieses nicht-kommerzielle Interview kam aus reiner Neugier und auf Initiative des Interviewers zustande.

Legal Tech Hackathons haben inzwischen einen festen Platz im Kalender vieler JuristInnen und EntwicklerInnen der Legal Tech-Szene. Zuletzt erreichte das Konzept „Hackathon“ Bekanntschaft durch die Online-Veranstaltung „wirvsvirus“ im Frühjar 2020, bei der Menschen aus den unterschiedlichsten Fachrichtungen online zusammenkamen um gemeinsam Lösungen für coronaverwandte Probleme zu entwickeln. Diese Veranstaltungen, die nicht nur in Deutschland, sondern auf der ganzen Welt stattfinden, können aufstrebenden Legal Tech-Unternehmerinnen und Unternehmern die Tür öffnen in die Legal Tech-Welt der bereits lang etablierten Unternehmen und zurzeit überall aus dem Boden schießenden Startups. Dieser Artikel gibt einen Einblick in diese faszinierenden Events.

Was ist ein Hackathon?

Den ersten Hackathon besuchte ich 2016, noch während meines Studiums und mitten in der Examensvorbereitung. Das war kein Legal Tech-Hackathon, wie es sie heute vermehrt gibt, sondern ein reiner „Tech-Hackathon“, veranstaltet von einem großen Radiosender, um Innovationen zu fördern und Kontakt zur „jüngeren Generation“ herzustellen. Was ist ein Hackathon? Ein Hackathon ist eine Veranstaltung, während der zu Beginn meist von den Teilnehmern oder den Veranstaltern Ideen vorgestellt werden, zu denen sich dann interessenorientiert Teams bilden. Die Teams haben dann je nach Veranstaltung etwa 24-36 Stunden Zeit, ihre Ideen in die Tat umzusetzen. Nach Ablauf der Zeit erfolgt eine Präsentation der Ergebnisse vor einer Fachjury, im Anschluss daran in der Regel eine Preisverleihung. Als Juristin (die zwar gewiss einen technischen Hintergrund hat, aber sich selbst nicht als Hackerin bezeichnen würde) war das für mich damals ein großer Schritt. Allein bis ich mich zur Bewerbung durchgerungen hatte vergingen Tage, während ich darüber sinniert habe ob meine IT-Kenntnisse für so ein Event ausreichen, ob ich da als Einzelkämpferin – und natürlich als Frau* – ohne Kommilitonen oder Freunde hinfahren möchte, ob Juristen da überhaupt hindürfen, und so weiter und so fort.

* Ich bin die Letzte, die die Eignung für oder gegen so ein Event am Geschlecht festmachen würde. Leider ist es aber immer noch so, dass wir Frauen bei solchen Events dramatisch unterrepräsentiert sind.

Als ich nach einigen Wochen meine abgeschickte Bewerbung schon fast vergessen hatte, bekam ich die Zusage. Kurz darauf stellte sich heraus, dass alle – wirklich alle – Sorgen unbegründet waren. Wenn auch die Männer in der Überzahl waren, fand ich mich später in einem geschlechtermäßig ausgeglichenen Team wieder, und es waren durchaus auch Menschen ohne jegliche Programmierfähigkeiten angereist. „Gehackt“ wurde in einem Fernsehstudio, abends gabs einen Flammkuchenbäckerstand, und die Zeit ging viel zu schnell vorbei.

Take something away…

Meine Key-Take-Aways aus 2016 waren:

  • Alleine anreisen kann seine Vorteile haben (es fällt unter Umständen leichter, Kontakte zu knüpfen).
  • Jede/r hat irgendwelche Fähigkeiten, mit denen sie/er sich in einem Team einbringen kann. Es ist nicht zu unterschätzen, dass die Lösung nicht nur programmiert, sondern auch konzipiert, gebrainstormt, das Design gestaltet, ein Business Plan ausgearbeitet, der Wettbewerb analysiert und insbesondere das Konzept vor der Jury auch präsentiert werden muss.
  • Durch die knappe Zeit, die die Teams haben, um ihre Idee umzusetzen, entsteht eine unglaublich spannende Gruppendynamik.
  • Es besteht die Möglichkeit, neben den interessanten Kontakten zu anderen Teammitgliedern und anderen Teams auch die einmalige Chance zu ergreifen, sich mit den Jury-Mitgliedern zu unterhalten, die oftmals Rang und Namen in der Branche haben und sonst selten „greifbar“ sind.
  • Es macht enorm viel Spaß, einfach mal aus dem Alltag auszubrechen und sich 24 – 36 Stunden mit etwas ganz Anderem zu beschäftigen.

Ich gebe zu: das Konzept „Legal Tech“ war mir in 2016 erstmals begegnet, und ich hatte nicht geahnt, dass es auch – und gerade? – in diesem Bereich zahlreiche Veranstaltungen zu entdecken gibt. Zudem kannte ich an meiner Uni niemanden, der sich wie ich mit den Schnittstellen zwischen Recht und Technik beschäftigt.

Bis auf die Tatsache, dass ich (als „Legal“) zum Hackathon („Tech“) gefahren bin, hatte das 2016 noch nicht viel mit Legal Tech zu tun. Die Lösungen, die wir entwickelt haben, drehten sich unter anderem um Personalfindung, Medien, und Pressekontakte, aber nicht um Innovationen im Rechtssektor. Dennoch war das für mich eine wichtige Erfahrung, denn wer weiß, ob ich mich andernfalls drei Jahre später auf meinen ersten Legal Tech-Hackathon gewagt hätte.

Weiter ging’s 2019…

2019 machte ich mich also auf zum „hacking.law“, einem großen Legal-Tech-Hackathon in Berlin. Auch hier bin ich alleine – ohne Team, ohne Idee, ohne spezifisches Hintergrundwissen – angereist. Das Besondere: schon bei der Bewerbung konnte man sich einer Teilnehmergruppe zuordnen (BenutzerschnittstellendesignerIn, JuristIn, EntwicklerIn, „Legal Engineer“ – als „Mensch aus beiden Welten“ bzw. JuristIn mit technischem Hintergrund etc.) und während der Veranstaltung mittels farblichen Erkennungszeichens kenntlich machen. Nach einer „Idea Hacking Session“, in der zu verschiedenen Oberthemen an unterschiedlichen Stationen kurze Einführungen gegeben wurden, hatten die TeilnehmerInnen die Möglichkeit, Projektideen vorzustellen, und sich anschließend zu Teams zusammenzufinden. Dann folgte das, worauf alle gewartet haben: 24 intensive, spannende und kreative Stunden später hatten wir es geschafft, aus unserer initialen Idee einen funktionsfähigen, präsentierbaren Prototypen auf die Beine zu stellen.

Typisch für Hackathons: Eine inspirierende, produktivitätsfordernde Atmosphäre. Für Verpflegung ist bestens gesorgt, und in Berlin gab’s sogar eine Massagestation für alle, denen die Verspannung im Nacken saß. Zwischendurch war immer wieder Gelegenheit, mit anderen TeilnehmerInnen ins Gespräch zu kommen und dadurch die Legal Tech-Community kennenzulernen.

Am nächsten Tag um 16:00 – nachdem die Expertenjury ihren Rundgang gemacht und erste Eindrücke gesammelt hatte – war dann die Hacking-Phase beendet. Auch hier folgten die Pitches (Präsentation der Ergebnisse) und die Siegerehrung, abgeschlossen und abgerundet wurde das Event durch eine Party mit DJ, die weitere Gelegenheit zum Austausch bot und den Teams eine willkommene Gelegenheit gab, ihre Leistungen zu feiern.

Hackathon goes IP…

Im November 2019 habe ich noch ein anderes Format kennengerlernt: Diesmal war ein Hackathon explizit als Intellectual Property Hackathon ausgeschrieben. Die BewerberInnen wurden im Voraus Teams zugeteilt, und jedes Team hat sich vor der Veranstaltung eine vom Veranstalter – bzw. von teilnehmenden Firmen – vorgeschlagene Aufgabenstellung ausgesucht. Dadurch fiel die Teamfindungs- und Ideenvorstellungsphase weg, und wir konnten direkt in die Arbeit einsteigen. Das Besondere hieran: die Aufgabenstellungen kamen allesamt aus der Praxis. Jedem Team war ein Firmenvertreter zugeteilt, der bzw. die weitere Informationen zu den zu lösenden Problemen geben konnte. Dadurch entstanden Lösungen, die ein großes Potenzial haben, in der Praxis auch tatsächlich Fuß zu fassen – nicht nur durch die Herkunft der Aufgabenstellung aus einem realen Problem, sondern auch durch die enge Zusammenarbeit mit den Firmenvertretern.

Fazit: Die Legal Tech-Community ist viel größer als gedacht! Und auf einmal fühlt man sich als Teil davon. Es gibt zahlreiche JuristInnen, die mit Leidenschaft an die Themen Technik und Digitalisierung herangehen, und es gibt viele ITlerInnen, die auch vor der Rechtswissenschaft keine Scheu haben. Die Symbioseeffekte waren eindrucksvoll in den Pitches am Ende der Veranstaltung zu spüren. Und das ist es auch, was Hackathons in meinen Augen so wichtig und besonders macht: sie bringen Menschen zusammen, die sonst oft in völlig verschiedenen (Berufs-)Welten leben und ermöglichen einen Austausch, wie er sonst nur schwer möglich ist. Dadurch können Ideen gedeihen.

Hackathon und ich? Traut Euch!

Ein Hackathon kann die Initialzündung für Start-Ups sein – man hat schon einmal intensiv zusammengearbeitet, hat eine gemeinsame Idee und gemeinsame Ziele. Häufig helfen die ausgeschriebenen Gewinne sowohl monetär als auch ideell den Teams gezielt weiter, ihre Ideen zu entwickeln und die richtigen Kontakte zu Investoren herzustellen. Auch internationale Kontakte sind möglich: so durften wir als Gewinnerteam einer der Veranstaltungen in die Auswahlrunde für den Global Legal Hackathon einziehen, und unsere Idee letztendlich im großen Finale mitten in Manhattan in New York präsentieren. Dabei sind wir auf Teams aus aller Welt getroffen, konnten unsere Idee in einem Podcast vorstellen und unser Netzwerk ausbauen.

Ich kann also nur appellieren: Wagt euch an die Hackathons ran, auch wenn ihr euch nicht sicher seid oder Zweifel daran habt, „ob das etwas für euch ist“. Die gewonnenen Erfahrungen sind unbezahlbar.

Der Anwaltstag 2020 findet vom 17. bis zum 19. Juni 2020 im RheinMain CongressCenter in Wiesbaden statt. Das Thema lautet „Die Kanzlei als Unternehmen“. Man könnte auch etwas schnittiger formulieren: „Legal Entrepreneurship„! Worum geht es und welche Teilveranstaltungen sind besonders zu empfehlen?

Legal Entrepreneurship beim Anwaltstag 2020: Das müssen wir diskutieren!

Nach § 1 BRAO sind Anwälte unabhängige Organe der Rechtspflege. Was nicht im Gesetz steht: Sie sind auch Unternehmer und pflegen daher auch ihr eigenes Konto. Beides ist häufig gut miteinander vereinbar, steht aber zunehmend auch in einem Spannungsverhältnis zueinander. Manche sprechen voller Sorge von amerikanischen Verhältnissen. Was damit gemeint ist, kann man aktuell in der 5. Staffel der Kultserie Better Call Saul besichtigen. Die damit zusammenhängenden Fragen sind aber auch im deutschen Rechtsraum schon heute virulent: Sollte man beispielsweise einen Fall vor die Gerichte tragen, wenn man ihn rechtlich für schwach, unternehmerisch aber für aussichtsreich hält? Darf man Mandanten anwerben, obwohl diese eigentlich gar kein rechtliches Problem wahrnehmen? Oder in Zeiten von Cum Ex: Muss man sich bei der Rechtsberatung an das Gesetz halten, auch wenn man davon ausgeht, dass man mit einem Rechtsverstoß irgendwie durchkommen würde?

Anwaltstag 2020: Hier wird es spannend!

Der Anwaltstag 2020 geht diesen Fragen nach. Wie immer gibt es dabei mehrere parallel stattfindende Veranstaltungsspuren. Die Teilnehmer stehen also vor der Qual der Wahl: Welche Programmpunkte sind besonders interessant? Hier eine subjektive Auswahl mit besonderem Augenmerk auf dem Spannungsfeld zwischen Organ der Rechtspflege und Unternehmergeist.

  • 17. Juni 2020, 13.30 bis 17.15 Uhr, 1. OG, Forum 1.1:
    Wie wichtig ist unternehmerisches Denken im Anwaltsberuf?
    Mit Diane Robers, Wolf Kahles, Sabine Gries-Redeker, Sonka E. Mehner, Thilo Wagner, Heidi Mahr, Sven Hasenstab, Markus Hartung und Reyhan Akar
  • 18. Juni 2020, 9.30 bis 10.30 Uhr, EG, Halle Nord C:
    Festvortrag: Wer bremst verliert! Die neuen Tugenden der Zukunftsmacher
    Mit Kerstin Plehwe
  • 18. Juni 2020, 11.00 bis 12.30 Uhr, 1. OG, Studio 1.3 A+B:
    Die Regulierung des Rechtsdienstleistungsmarktes in Zeiten von Legal Tech – quo vadis RDG & BRAO
    Mit Fabian Widder, Rainer Kaul, Jutta Gurkmann, Thomas Lämmrich, Daniel Halmer, Martin Schafhausen und Matthias Kilian
  • 18. Juni 2020, 13.45 bis 15.15 Uhr, 2. OG, Loge 2.1 A+B:
    Erst das Fressen, dann die Moral? – Wann wird das Geld verdienen unmoralisch?
    Mit Niko Härting, Markus Hartung und Corinna Budras
  • 18. Juni 2020, 13.45 bis 15.15 Uhr, 1. OG, Studio 1.2 B+C
    Die Anwältin als Unternehmerin – Finanzieller Erfolg durch Spezialisierung
    Mit Barbara Mayer, Monika Hähn, Christina Johanna Bernath zu Bernathfalva und Christina Unterberger
  • 18. Juni 2020, 15.45 bis 16.45 Uhr, 1. OG, Studio 1.3 C+D
    Legal Tech und Akquise in kapitalmarktrechtlichen Massenverfahren: Zivilprozessuale Konsequenzen für den Anwaltsmarkt
    Mit Frank R. Remmertz, Daniela Bergdolt und Karsten U. Bartels
  • 18. Juni 2020, 15.45 bis 17.45 Uhr, 1. OG, Studio 1.1 A+B
    Finanzierung des Unternehmens Anwaltskanzlei – Alternativen zum Fremdbesitz?
    Mit Oliver Islam, Gerlinde Fischedick, Carsten Schneider, Holger Stein, Jens Spitzner und Markus Hartung
  • 19. Juni 2020, 11.00 bis 12.30 Uhr, 1. OG, Forum 1.3:
    Anwaltliche Werbung 2020 – Wie dürfen wir (nicht) werben?
    Mit Christian Deckenbrock, Christian Lemke, Susanne Reinemann, Yvonne Kleinke und Jens Fusbahn
  • 19. Juni 2020, 11.00 bis 12.30 Uhr, 2. OG, Loge 2.2 A+B
    Pro Bono
    Mit Reinhard Gaier, Peter Braun, Karoline Fritz, Constanze Würfel und Tobias Freudenberg
  • 19. Juni 2020, 13.45 bis 15.15 Uhr, 1. OG, Studio 1.3 B+C
    Der elektronische Zivilprozess – Ein virtuelles Gerichtsverfahren von A (außergerichtlich) bis Z (Zwangsvollstreckung)
    Mit Ulrich Volk, Alexander Knauss, Henning Müller und Ralf Köbler

Vermutlich sitzen in diesem Moment in Deutschland 100 Doktorandinnen und Doktoranden an einer Legal-Tech-Doktorarbeit. Eine ist schon fertig: Im Interview verrät uns Christina-Maria Leeb, was sie bei ihrer Arbeit herausgefunden hat.

Was sind die wichtigsten Erkenntnisse Deiner Arbeit in drei Sätzen?

Ein Rechtsanwalt kann seiner Aufgabe und Funktion als Organ der Rechtspflege in der Informationstechnologiegesellschaft nur (noch) ausreichend nachkommen, wenn er sich auch an die Veränderungen der Lebenswirklichkeit sowie in den Bereichen Rechtsdurchsetzung und Verwaltung mit Blick auf die Digitalisierung umfassend anpasst. Schon das geltende (Berufs-)Recht ermöglicht an vielen Stellen eine innovationsfreundliche und zukunftsoffene Interpretation, etwa mit Blick auf technologieunterstützte Arbeitsweisen. Und rechtstheoretisch ist Legal Tech insgesamt angesichts des verbesserten und breiteren Zugangs zum Recht als Chance für den Rechtsstaat zu begreifen.

Kann man Deine Arbeit schon als Studentin mit Gewinn lesen oder ist das eher nur etwas für Kanzleien und Ministerien?

Ich vermute zwar stark, dass während des Studiums – zumindest außerhalb der Abfassung einer Seminararbeit im Schwerpunktstudium – eher wenige Studierende auf diesen Gedanken kommen werden, aber falls doch, nur zu. 🙂 Ich beschäftige mich darin auch mit der juristischen Ausbildung, vielleicht ist dieser Aspekt ja für die genannte Zielgruppe besonders spannend.

Du schlägst in Deiner Arbeit eine Reihe von konkreten Maßnahmen vor…

…z.B. eine IT-Fortbildungspflicht für Rechtsanwälte und die Vermittlung von E-Justice-Kompetenz im Jurastudium. Wie optimistisch bist Du, dass sich diese Empfehlungen in den nächsten fünf Jahren realisieren lassen?

Bei der IT-Fortbildungspflicht gab es 2017 schon eine – letztlich gescheiterte – Reformdiskussion, daher befürchte ich, dass das Thema wohl nicht mehr so schnell auf den Tisch des Gesetzgebers gelangt. Besser stehen die Chancen meiner Meinung nach bei der E-Justice-Kompetenz. Hier ist kürzlich Baden-Württemberg als erstes Bundesland aktiv geworden. Seit Ende April 2019 berücksichtigt der in der dortigen Juristenausbildungs- und Prüfungsordnung enthaltene Katalog an notwendigen Schlüsselqualifikationen für Studierende die „zunehmende Bedeutung der Digitalisierung“ bzw. „digital[e] Kompetenzen“. Selbiges gilt für die Referendarausbildung. Ende November 2019 folgte hier der erste Workshop zu den Themen Künstliche Intelligenz und Recht, Legal Tech in der Praxis, Berufsrecht und Legal Tech sowie Legal Design Thinking. Erfreulicherweise tut sich hier also etwas und ich hoffe, dass bald auch andere (oder natürlich idealerweise alle) Bundesländer dem Vorbild Baden-Württembergs folgen.

Auf einer der ersten Seiten Deiner Arbeit zitierst Du Friedrich Schiller: “Wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit.”

Wie groß ist Deine Sorge, dass die Digitalisierung des Rechtswesens neben der von Dir genannten Chance für den Rechtsstaat auch viele Verlierer mit sich bringen könnte, z.B. weil in einem verschärften Rechtsdienstleistungswettbewerb juristische Brillanz gegen unternehmerisches Gespür wenig auszurichten hat?

Dass ein gewisser Teil (nicht nur) anwaltlicher bzw. juristischer Tätigkeit in Zukunft durch Automatisierung und Standardisierung wegfallen wird (und sogar schon weggefallen ist), ist Fakt. In diesem Teil geht es jedoch ohnehin nicht darum, „juristische Brillanz“ an den Tag zu legen, sondern einfache, wiederkehrende Sachverhalte einer eindeutigen rechtlichen Bewertung zuzuführen. Vielmehr wird es im Wettbewerb vor allem erst einmal darum gehen, seine Arbeitsabläufe und Prozesse mithilfe von Technologie intelligent zu organisieren und zu strukturieren.

Welchen Tipp würdest Du…

…einer Rechtsanwältin geben, die aktuell sehr erfolgreich das klassische Modell “Einzelanwältin mit goldenem Kanzleischild” fährt, sich aber sicherheitshalber für eine digitalisierte Zukunft wappnen möchte?

Generell ist aus meiner Sicht das zu Recht vielgepriesene „Mindset“ entscheidend, also die Offenheit gegenüber neuen Themen bzw. Technologien. Mögliche konkrete Fragen, die sie sich stellen könnte, sind: Wie (gut) bin ich im Internet auffindbar? Entspricht meine Anwaltssoftware meinen Bedürfnissen? Wie kann ich meine internen Abläufe effizienter machen? Mit welchen digitalen Tools könnte ich meinen Mandantinnen und Mandanten eventuell zukünftig einen Mehrwert bieten?

Der Abschluss einer Doktorarbeit schafft meist Raum für Neues. Was steht bei Dir an und welches konkrete Thema treibt Dich gerade um? 

Der nächste berufliche Schritt wird sein, dass ich zum 1. April 2020 mein Referendariat beginne. Aus persönlichem Interesse heraus beschäftige ich mich derzeit viel mit Künstlicher Intelligenz. Kürzlich habe ich den sehr interessanten und lehrreichen Zertifikatskurs „Elements of AI“ der University of Helsinki absolviert, der ursprünglich nur für finnische Staatsbürgerinnen und Staatsbürger konzipiert wurde, um die Bevölkerung fit für die Zukunft zu machen und nun für alle Interessierten unter https://www.elementsofai.com/ frei zugänglich ist.

Liebe Christina, herzlichen Dank für Deine interessanten und ermutigenden Antworten!

Die Arbeit von Christina-Maria Leeb ist 2019 unter dem Titel „Digitalisierung, Legal Technology und Innovation“ im Verlag Duncker & Humblot im Printformat und als E-Book erschienen.

Zum guten Schluss: Christina Leeb ist ein Must-Follow in den sozialen Medien: