Legal-Tech-News aus Österreich: Vor kurzem hat sich dort die Legal Tech Initiative Austria (LTIA) gegründet. Wir haben hinter die Kulissen geschaut und uns mit Franziska Lehner, einer der Gründerinnen, unterhalten.
Legal Tech Initiative Austria will den Start-up-Markt fördern
Herzlichen Glückwunsch! Wenn man die Berichterstattung über Eure Veranstaltungen liest, merkt man, dass Ihr mit der Legal Tech Initiative Austria einen Nerv getroffen habt! Wie seid Ihr auf die Idee gekommen?
Franziska Lehner: Vielen lieben Dank, wir freuen uns sehr über diese positive Rückmeldung! Die Idee zur Legal Tech Initiative (LTIA) entstand Anfang dieses Jahres. Zuvor hatte ich nach Abschluss des rechtswissenschaftlichen Studiums zwei Jahre in Deutschland verbracht, wo ich in Hamburg erstmals mit den Auswirkungen der Digitalisierung in der Anwaltsbranche konfrontiert wurde. Meine Neugierde war sofort geweckt und fortan setzte ich mich privat mit diesen Entwicklungen auseinander. Bereits vor meiner Rückkehr nach Wien war mir klar, dass ich dieses Wissen mitnehmen und weitergeben wollte. Zu meinem großen Glück beschäftigte sich eine meiner engsten Freundinnen und ehemalige Arbeitskollegin, Kathrin Shahroozi, zeitgleich mit diesem Thema. Auch sie hatte erste Berührungspunkte mit Legal Tech während einem Studienaufenthalt im Ausland, an der LSE in London. Uns war klar, sofern Österreich als Rechtsmarkt seine Wettbewerbsfähigkeit erhalten möchte, darf der disruptive Faktor von Legal Tech nicht länger ignoriert werden. Gemeinsam gründeten wir im Mai 2017 die Legal Tech Initiative Austria (LTIA), um das Bewusstsein für das Zukunftsbild der Branche an die breite Masse heranzutragen sowie die technischen Entwicklungen und damit den Start-Up Markt zu fördern. Wir sind davon überzeugt, dass die kommenden Herausforderungen der Rechtbranche sich als Chance umwandeln und nutzen lassen, sofern man ausreichend vorbereitet ist und sich ernsthaft mit diesen Entwicklungen auseinandersetzt, ganz nach unserem Motto „the difference between disruption and opportunity lies within preparation“. Um diese Auseinandersetzung zu ermöglichen, haben wir mit LTIA eine Plattform zur Wissensförderung sowie Austausch und Verknüpfung von Recht und IT geschaffen. Dieser Austausch soll einerseits durch diverse Veranstaltungen (Meet-Ups, Workshops, Think Tanks), andererseits durch Publikationen sowie regelmäßige News Updates gesichert werden.
Positives Echo bei den Universitäten
Mit Legal Tech beschäftigen sich Anwälte und Richter, Unternehmensjuristen, Ministerien und Universitäten. Aus welcher Ecke bekommt Ihr den meisten Rückenwind?
Franziska Lehner: Unser Konzept wurde von Anfang an in unserem Umfeld, somit unter Studierenden und KollegInnen in Kanzleien sehr positiv aufgenommen. Seit unserer Gründung besuchen wir selbst eine Bandbreite an Veranstaltungen aus dem rechtlichen und technischen Bereich, insbesondere in der österreichischen Start-Up Szene fanden wir hier aus dem Kreise der Millennials branchenübergreifen Zuspruch. Knapp ein Monat nach unserer Gründung im Mai, durften wir uns zudem über Unterstützungszusagen von Universitäten freuen. Das Gründerzentrum der WU sowie das neue Institut für Innovation und Digitalisierung im Recht der Universität Wien fördern uns im besonderen Ausmaß. Unsere letzte Veranstaltung, eine Podiumsdiskussion zum Thema Legal Tech Start-Ups am 11. Dezember, wurde erst durch die Förderung unserer Initiative durch den Dekan der juridischen Fakultät Professor Paul Oberhammer sowie durch den Leiter des neuen Instituts, Professor Nikolaus Forgó, ermöglicht. Aus der Start-Up Szene haben wir mit dem etablierten Legal Tech Start-Up LeReTo auch gleich unseren ersten Kooperationspartner gewonnen. Seit wenigen Tagen dürfen wir Haslinger Nagele und Partner Rechtsanwälte GmbH als unseren ersten Legal Partner nennen. Es ist deutlich zu spüren, dass sich zahlreiche Anwaltskanzleien verstärkt seit diesem Jahr mit den Auswirkungen der Digitalisierung auseinandersetzen und sich hier für zusätzliche Unterstützung engagieren und erfreulicherweise den Kontakt zu uns aufsuchen.
Legal Tech Startups sind keine Mangelware
Beim Stichwort Legal Tech denken in Deutschland viele zuerst an Volkswagen und Fluggastrechte, an Vertragsgeneratoren und Vertragsanalysetools. Welche der österreichischen Startups bleiben in Erinnerung?
Franziska Lehner: Auf der Verbraucherseite ist neben der Durchsetzung von Fluggast- oder Mieterrechten, etwa FairPlane oder Mietenchecker.at, auf die Rechtsanwaltsplattform meinanwalt.at als verbraucherzentrierter Vergleich anwaltlicher Dienstleistungen hinzuweisen. Zudem gibt es in Österreich eine lange Tradition der öffentlich zugänglichen Rechtsdatenbank der Justiz. Hier hat sich LeReTo, ein smartes Legal Research Tool für Juristen, erfolgreich durchgesetzt und in den vergangenen Monaten den Sprung nach Deutschland gemeistert. In Kombination mit einem breiten online Datenbankangebot der österreichischen Verlage erspart einem diese Technologie zahlreiche Arbeitsstunden und mühsame Quellenrecherche. Als personalisierbare Rechtsdatenbank ist das Rechtsinformationssystem OpenLaws aus Salzburg außerdem zu nennen. Kürzlich kam mit SimpLEX Doks ein weiteres Start-Up auf den Markt, das individualisierbare Firmenbuchanträge samt spezialisierter Verträge und Dokumente anbietet. Wir freuen uns über all diese und viele weitere Angebote, doch es gibt noch jede Menge Aufholbedarf, wenn man nach Deutschland oder in den anglo-amerikanischen Raum blickt, insbesondere in Sachen AI und Big Data Analyse.
Digitale Justiz: Österreich ist Vorreiter
Die deutsche Anwaltschaft müht sich gerade mit der Einführung des elektronischen Anwaltspostfachs ab. Bei Gericht läuft nach wie vor alles auf Papier. Wie weit ist die Digitalisierung der Justiz in Österreich schon gediehen?
Franziska Lehner: Europaweit gilt die österreichische Justiz bezüglich der Digitalisierung als Vorreiter und ist in zahlreichen EU-Arbeitsgruppen zu E-Justice federführend beteiligt. Bereits seit 1990 sind die österreichischen Zivil- und Strafgerichte mit Web-ERV, einem elektronischen Rechtsverkehrssystem ausgestattet, das als papierloses Mittel zur Kommunikation zwischen Verfahrensbeteiligten und dem Gericht dient. So wurden im Jahr 2015 bereits über 95% der Klagen und rund 90% der Exekutionsanträge elektronisch eingebracht. Derzeit wird eine Ausweitung auf die Gerichte des öffentlichen Rechts anvisiert. Künftig wird diese Anwendung auf die Verwaltungsgerichte und Behörden ausgedehnt, wo derzeit noch Brief, Fax und eingeschränkt E-Mail in Anwendung ist. Auch in Zukunft wird Österreich diese Vorreiterrolle durch Projekte wie „Justiz 3.0“ wohl gesichert bleiben. Bis 2020 soll dieses Projekt realisiert werden, worunter etwa ein vollelektronisches Dokumentenmanagement- und Workflowsystem sowie online Akteneinsicht geschaffen werden sollen und die Einführung eines e-Court vorgesehen ist. Durch diese und weitere effizienzsteigernde Maßnahmen wird es zu kürzeren Verfahrensdauern kommen, die voraussichtlich mit einer Steigerung der Qualität der Entscheidungen einhergehen wird. Derzeit ist das Arbeiten mit Papierakten bei Gericht nach wie vor üblich und das Anlegen elektronischer Akten bisher selten. Dies liegt unter anderem an der mangelnden technischen Ausstattung der Justiz, die jedoch durch „Justiz 3.0“ Schritt für Schritt aufgewertet werden soll.
Legal Tech Initiative Austria baut 2018 eine Roadmap
Mit der Gründung der Legal Tech Initiative Austria und einigen Diskussionsveranstaltungen liegt schon ein kleiner Veranstaltungsmarathon hinter Euch. Wie geht es in 2018 weiter?
Franziska Lehner: Wir starten das neue Jahr direkt mit unserem ersten Workshop am 29. Januar – eine vertiefte Einführung in das Thema Legal Tech für Studenten. Dieser Workshop findet im Rahmen einer Kooperation mit dem Legal Literacy Project Wien (LLP) statt, ein Verein, der sich für die Vermittlung von Rechtswissen in höheren Schulstufen einsetzt. In Folge werden wir das Format weiterentwickeln und mit LLP als Kooperationspartner einen eigenen Workshop an Schulen anbieten, um Schüler im Alter von 15-18 Jahren bereits vor Studienbeginn mit den Auswirkungen der Digitalisierung vertraut zu machen. Hierdurch wollen wir den Schülern ein realistisches Bild vom Anwaltsberuf der Zukunft vermitteln und diese ermutigen sich mit der Schnittstelle zwischen IT und Recht auseinander zu setzen, an der bereits jetzt neue Berufsbilder entstehen. Außerdem steht im Frühling die Premiere unseres Think Tanks an. In einem organisierten Rahmen können hier Juristen und Programmierer Seite an Seite die alltäglichen Arbeitsprozesse einer Anwaltskanzlei analysieren und deren Potential zur Automatisierung erörtern. Hierdurch wird Juristen das disruptive Potential von Legal Tech vor Augen geführt und somit ein Ansatzpunkt zur Entwicklung weiterer technischer Lösungen bzw. Implementierung bestehender Angebote geboten. Abseits der Veranstaltungen steht ab 2018 das Projekt „Legal Tech Roadmap Austria“ an. Ähnlich den bestehenden „Länderkarten“ aus Deutschland und Frankreich, soll hier die österreichische Start-Up Landschaft im Legal Tech Bereich graphisch dargestellt werden. Mit der Veröffentlichung dieser Roadmap wollen wir das Bewusstsein der breiten Masse für die Entwicklungen auf dem Markt erhöhen, die Innovationen selbst unterstützen und einen weiteren Anreiz für das Wachstum der Branche setzen.
Herzlichen Dank für das spannende Gespräch!
Mag. Franziska Lehner ist Gründerin und Präsidentin der Legal Tech Initiative eV, ein gemeinnütziger Verein zur Aufklärung über und Förderung der technologischen Entwicklungen in der Rechtsbranche.