Die juristische Diskussion um die Anwendungsmöglichkeiten der Blockchain erschöpft sich regelmäßig in ihrer Nutzung für Registersachen und smart contracts. Damit ist das Potenzial der Blockchain-Technologie aber noch nicht unbedingt ausgeschöpft. In einem Interview mit dem Anwaltsblatt weist die Berliner Anwältin Dr. Nina-Luisa Siedler darauf hin, welche Folgen damit verbunden sein könnten, wenn zentrale Handelsintermediäre überflüssig werden.

Blockchain ermöglicht Transaktionen ohne Intermediäre

Eine Blockchain ist eine Art dezentrale Dropbox. Was immer darauf gespeichert ist, liegt nicht auf einem zentralen Server, sondern verschlüsselt bei allen Teilnehmern des Netzwerks. Die vielfach parallele Speicherung gilt manchen als ineffizient, immerhin macht sie aber zentrale Intermediäre überflüssig. Auf einer Blockchain wandern Werte unmittelbar vom Sender zum Empfänger, ohne dass es einer zentralen Vermittlungsinstanz bedarf. Je mehr Kosten der zentrale Intermediär in Rechnung stellt, desto eher lohnt sich eine Blockchain. Während etwa einfache Inlandsüberweisungen für den Kunden heute in der Regel kostenfrei sind, genehmigt sich der internationale Zahlungsdienstleister PayPal einige Prozent vom Transaktionsvolumen. Wer sich diese Gebühren sparen möchte, wird Interesse für eine vertrauenswürdige Übermittlung ohne Einschaltung von Dritten entwickeln.

Ersetzt die Blockchain internationale Online-Plattformen?

In einem Interview mit dem Anwaltsblatt denkt die Berliner Rechtsanwältin Nina-Luisa Siedler nunmehr einen Schritt weiter. Womöglich könne die Blockchain-Technologie langfristig auch die Macht weltweiter Online-Plattformen begrenzen. Als Quasi-Monopolisten können diese Plattformen aus den Umsätzen der Marktteilnehmer erhebliche Margen abschöpfen. Zukünftig könnte dieses Geschäftsmodell allerdings so nicht mehr funktionieren:

„In der jüngeren Vergangenheit gab es die Tendenz, immer mehr zu zentralisieren. Amazon, Ebay, Facebook und Co. sind Beispiele. Diese internetbasierten Anbieter schöpfen als Mittler zunehmend größere Teile der Wertschöpfung ab. Für die eigentlichen Anbieter von Waren und Dienstleistungen bleibt so weniger übrig. Dieser Trend trifft nun auf eine Gegenbewegung. Die Blockchain ist genau mit dem Ziel entwickelt worden, wieder unmittelbar peer-to-peer den Austausch von Waren und Dienstleistungen zu ermöglichen. Und wenn das Erfolg hat, also wirklich in der Masse direkte Transaktionen zwischen Anbietern und Abnehmern ermöglicht, könnte das die Macht der großen (Internet-)Mittler brechen. Irgendwann wird die Technologie so weit sein.“

Das Interview mit Nina-Luisa Siedler ist im Anwaltsblatt 2017 im Novemberheft auf den Seiten 1091-1095 erschienen. Es ist ab sofort in der Anwaltsblatt App und ab Ende 2017 auch im Print-Archiv des Anwaltsblatts kostenfrei abrufbar.

Smart contracts sind ins Gespräch gekommen. Wo man schon tagein tagaus unzählige Verträge schließt, erscheint es interessant, auch einmal einen richtig schlauen Vertrag zu schließen. Langsam fasst die Theorie der Informatiker in der Praxis Fuß: Erste smart contracts werden für das Massengeschäft angeboten. Das jüngste Beispiel ist Fizzy, eine Fluggastrechte-Versicherung der AXA, die als smart contract auf der Ethereum-Blockchain läuft. Viele Fremdwörter – was steckt dahinter?

Smart contracts sind selbstvollziehende Verträge

Zunächst einmal: Smart contracts sind Verträge, die sich selbst vollziehen. Mit Hilfe einer Software sammeln sie vertragsrelevante Daten, werten sie aus und nehmen Transaktionen vor. Im einfachsten Fall autorisiert die Software etwa eine Zahlung, sobald sie festgestellt hat, dass der Zahlungsberechtigte seinen Teil des Vertrages erfüllt hat. Man kann sich das wie eine Einzugsermächtigung vorstellen, die nicht per Knopfdruck, sondern automatisch ausgelöst wird. Und die nicht nur für Geld, sondern auch für Zugriffsrechte etc. funktioniert. Weil die Software von smart contracts Vermögensdispositionen trifft, muss sie natürlich möglichst neutral und fehlerfrei arbeiten. Deswegen wird sie standardmäßig auf einer so genannten blockchain, einer Art dezentraler Dropbox, verwaltet (siehe hierzu die Definition in unserem Legal-Tech-Glossar). Die Vertragsdaten liegen dann gleichzeitig auf vielen Rechnern und gelten als sehr schwer zu manipulieren.

Nutzen von smart contracts: Pacta servantur

Was bringen smart contracts? Jurastudenten lernen im ersten Semester das Prinzip pacta sunt servanda. Das bedeutet: An Verträge muss man sich halten. Man kann das aber auch anders lesen: An Verträge muss man sich zwar halten, aber viele tun das einfach nicht. Dann muss der Berechtigte vertragsrechtliche Ansprüche stellen und notfalls einklagen. Für Juristen ist dies das täglich Brot, für Nichtjuristen meist ärgerlich und belastend. Smart contracts wollen das ändern. Aus dem pacta sunt servanda soll ein pacta servantur werden: Verträge werden eingehalten. Oder noch konkreter: Verträge halten sich ein. Weil sie sich selbst vollziehen, soll es gar keine Chance mehr geben, gegen vertragliche Vereinbarungen zu verstoßen. Das ist besonders dann reizvoll, wenn es um vergleichsweise kleine Werte geht, für die Otto Normalverbraucher im Zweifel ohnehin nicht vor Gericht zieht.

Fizzy: AXA steigt in den Markt für Fluggastrechte ein

Das Paradebeispiel für geringwertige Forderungen, die wenige Betroffene auf dem klassischen Wege durchsetzen, sind Fluggastrechte bei Verspätungen. Angeführt von der Firma flightright hat sich hier in den vergangenen Jahren eine Reihe von Unternehmen etabliert, die Verbrauchern die Durchsetzung ihrer Ansprüche gegen eine Erfolgsprovision abnehmen. AXA geht nun in diesen Markt hinein – und zwar mit einem sehr früh ansetzenden Angebot. Fluggäste schließen bereits vor dem Abflug eine Pünktlichkeitsversicherung ab und erhalten automatisch eine Entschädigung, sobald die Flugdaten eine verspätete Ankunft melden.

Keine Verdrängung der etablierten Portale zu erwarten

Auch wenn die AXA nun den etablierten Fluggastrechte-Portalen Konkurrenz macht, ist deren Verdrängung vom Markt bis auf Weiteres nicht zu erwarten. Denn Fizzy ist eine so genannten before-the-event insurance; sie versichert nicht das Risiko einer scheiternden Anspruchsdurchsetzung, sondern das Risiko, dass es überhaupt zu einem Schadensfall kommt. Über letzteres Risiko denkt aber im Flugverkehr kaum jemand nach. Nur wenige Passagiere machen sich bereits vor ihrem Flug über eine etwaige Verspätung Gedanken. Und die Airlines werden kaum daran denken, Fizzy als Zusatzoption beim Ticketkauf anzubieten, weil sie bei einer Vereinfachung der Rechtsdurchsetzung selbst die Leidtragenden wären.