Vermutlich sitzen in diesem Moment in Deutschland 100 Doktorandinnen und Doktoranden an einer Legal-Tech-Doktorarbeit. Eine ist schon fertig: Im Interview verrät uns Christina-Maria Leeb, was sie bei ihrer Arbeit herausgefunden hat.

Was sind die wichtigsten Erkenntnisse Deiner Arbeit in drei Sätzen?

Ein Rechtsanwalt kann seiner Aufgabe und Funktion als Organ der Rechtspflege in der Informationstechnologiegesellschaft nur (noch) ausreichend nachkommen, wenn er sich auch an die Veränderungen der Lebenswirklichkeit sowie in den Bereichen Rechtsdurchsetzung und Verwaltung mit Blick auf die Digitalisierung umfassend anpasst. Schon das geltende (Berufs-)Recht ermöglicht an vielen Stellen eine innovationsfreundliche und zukunftsoffene Interpretation, etwa mit Blick auf technologieunterstützte Arbeitsweisen. Und rechtstheoretisch ist Legal Tech insgesamt angesichts des verbesserten und breiteren Zugangs zum Recht als Chance für den Rechtsstaat zu begreifen.

Kann man Deine Arbeit schon als Studentin mit Gewinn lesen oder ist das eher nur etwas für Kanzleien und Ministerien?

Ich vermute zwar stark, dass während des Studiums – zumindest außerhalb der Abfassung einer Seminararbeit im Schwerpunktstudium – eher wenige Studierende auf diesen Gedanken kommen werden, aber falls doch, nur zu. 🙂 Ich beschäftige mich darin auch mit der juristischen Ausbildung, vielleicht ist dieser Aspekt ja für die genannte Zielgruppe besonders spannend.

Du schlägst in Deiner Arbeit eine Reihe von konkreten Maßnahmen vor…

…z.B. eine IT-Fortbildungspflicht für Rechtsanwälte und die Vermittlung von E-Justice-Kompetenz im Jurastudium. Wie optimistisch bist Du, dass sich diese Empfehlungen in den nächsten fünf Jahren realisieren lassen?

Bei der IT-Fortbildungspflicht gab es 2017 schon eine – letztlich gescheiterte – Reformdiskussion, daher befürchte ich, dass das Thema wohl nicht mehr so schnell auf den Tisch des Gesetzgebers gelangt. Besser stehen die Chancen meiner Meinung nach bei der E-Justice-Kompetenz. Hier ist kürzlich Baden-Württemberg als erstes Bundesland aktiv geworden. Seit Ende April 2019 berücksichtigt der in der dortigen Juristenausbildungs- und Prüfungsordnung enthaltene Katalog an notwendigen Schlüsselqualifikationen für Studierende die „zunehmende Bedeutung der Digitalisierung“ bzw. „digital[e] Kompetenzen“. Selbiges gilt für die Referendarausbildung. Ende November 2019 folgte hier der erste Workshop zu den Themen Künstliche Intelligenz und Recht, Legal Tech in der Praxis, Berufsrecht und Legal Tech sowie Legal Design Thinking. Erfreulicherweise tut sich hier also etwas und ich hoffe, dass bald auch andere (oder natürlich idealerweise alle) Bundesländer dem Vorbild Baden-Württembergs folgen.

Auf einer der ersten Seiten Deiner Arbeit zitierst Du Friedrich Schiller: “Wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit.”

Wie groß ist Deine Sorge, dass die Digitalisierung des Rechtswesens neben der von Dir genannten Chance für den Rechtsstaat auch viele Verlierer mit sich bringen könnte, z.B. weil in einem verschärften Rechtsdienstleistungswettbewerb juristische Brillanz gegen unternehmerisches Gespür wenig auszurichten hat?

Dass ein gewisser Teil (nicht nur) anwaltlicher bzw. juristischer Tätigkeit in Zukunft durch Automatisierung und Standardisierung wegfallen wird (und sogar schon weggefallen ist), ist Fakt. In diesem Teil geht es jedoch ohnehin nicht darum, „juristische Brillanz“ an den Tag zu legen, sondern einfache, wiederkehrende Sachverhalte einer eindeutigen rechtlichen Bewertung zuzuführen. Vielmehr wird es im Wettbewerb vor allem erst einmal darum gehen, seine Arbeitsabläufe und Prozesse mithilfe von Technologie intelligent zu organisieren und zu strukturieren.

Welchen Tipp würdest Du…

…einer Rechtsanwältin geben, die aktuell sehr erfolgreich das klassische Modell “Einzelanwältin mit goldenem Kanzleischild” fährt, sich aber sicherheitshalber für eine digitalisierte Zukunft wappnen möchte?

Generell ist aus meiner Sicht das zu Recht vielgepriesene „Mindset“ entscheidend, also die Offenheit gegenüber neuen Themen bzw. Technologien. Mögliche konkrete Fragen, die sie sich stellen könnte, sind: Wie (gut) bin ich im Internet auffindbar? Entspricht meine Anwaltssoftware meinen Bedürfnissen? Wie kann ich meine internen Abläufe effizienter machen? Mit welchen digitalen Tools könnte ich meinen Mandantinnen und Mandanten eventuell zukünftig einen Mehrwert bieten?

Der Abschluss einer Doktorarbeit schafft meist Raum für Neues. Was steht bei Dir an und welches konkrete Thema treibt Dich gerade um? 

Der nächste berufliche Schritt wird sein, dass ich zum 1. April 2020 mein Referendariat beginne. Aus persönlichem Interesse heraus beschäftige ich mich derzeit viel mit Künstlicher Intelligenz. Kürzlich habe ich den sehr interessanten und lehrreichen Zertifikatskurs „Elements of AI“ der University of Helsinki absolviert, der ursprünglich nur für finnische Staatsbürgerinnen und Staatsbürger konzipiert wurde, um die Bevölkerung fit für die Zukunft zu machen und nun für alle Interessierten unter https://www.elementsofai.com/ frei zugänglich ist.

Liebe Christina, herzlichen Dank für Deine interessanten und ermutigenden Antworten!

Die Arbeit von Christina-Maria Leeb ist 2019 unter dem Titel „Digitalisierung, Legal Technology und Innovation“ im Verlag Duncker & Humblot im Printformat und als E-Book erschienen.

Zum guten Schluss: Christina Leeb ist ein Must-Follow in den sozialen Medien: