Das 2017 erstmals aufgelegte Rechtshandbuch Industrie 4.0 und Internet of Things ist 2020 bereits in zweiter Auflage erschienen. Was steht drin und wer sollte sich das Buch anschaffen?

Rechtshandbuch Industrie 4.0 und Internet of Things

Die Herausgeber Thomas Sassenberg und Tobias Faber möchten mit dem Rechtshandbuch Praxisfragen und Perspektiven der digitalen Zukunft ausleuchten. Dafür haben sie auf knapp 800 Seiten 23 Beiträge zu verschiedenen Rechtsfragen in Bezug auf vernetzte Gegenstände versammelt. Die Beiträge lesen sich wie eine moderne Einführung in das Recht der Informationstechnologie. Auf eine thematische Einführung der beiden Herausgeber – lesenswert für alle, die mit den Begriffen Industrie 4.0 und Internet der Dinge bisher wenig anfangen können – folgen sieben Beiträge zu einzelnen Rechtsgebieten wie etwa Datenschutz und IT-Sicherheit, Haftungsfragen, Kartellrecht, Arbeitsrecht und Gesellschaftsrecht. Daran schließen sich zwei Kapitel zu Vertragsschluss und Vertragsgestaltung im Internet der Dinge sowie zu künstlicher Intelligenz und zur Blockchain-Technologie an, bevor einzelne Branchen wie das Gesundheitswesen, der Bereich Automotive, die Versicherungswirtschaft, die Elektroindustrie und das Bankwesen in den Blick kommen.

Von Praktikern, aber nicht nur für Praktiker

Bemerkenswert ist, dass der Autorenkreis im Unterschied zu anderen Rechtshandbüchern fast ausschließlich aus Praktikern besteht. In einem hypeaffinen Bereich wie dem Recht der Digitalisierung hat das den großen Vorteil, dass die Beiträge erfreulich dicht mit Praxisbeispielen unterfüttert sind. Zugleich ist das Buch durchaus auch für Studierende (insbesondere die Beiträge zum Vertragsschluss, zum Verbraucherschutz, zu Haftungsfragen und zum Gesellschaftsrecht), für RechtsreferendarInnen (insbesondere die Beiträge zur Vertragsgestaltung und zum Arbeitsrecht) und für WissenschaftlerInnen (insbesondere der Beitrag zu Forschung und Entwicklung) eine nützliche Lektüre. Allen LeserInnen kann man empfehlen, das Werk auch als eine Art Lesebuch zu verwenden, in dem man erfahren kann, was jenseits von diesem Internet „da draußen so los ist“ und welche Rechtsfragen Gerichte und Anwaltspraxis in den kommenden Jahren umtreiben werden.

Wenige Wünsche für die dritte Auflage

Vor diesem Hintergrund erscheint es gut möglich, dass das Rechtshandbuch Industrie 4.0 und Internet of Things in absehbarer Zeit in die dritte Auflage geht. Was könnte man sich dafür noch wünschen? Vielleicht mehr Details zu Anwendungsbereichen der Blockchain-Technologie, vielleicht Beiträge zur Digitalisierung in der Bauindustrie, in der Biotech-Industrie und in der Lebensmittelindustrie, vielleicht auch eine rechtsvergleichende Perspektive zur Regulierung digitaler Technologien in China und Japan. Den Nutzen der aktuellen zweiten Auflage soll das aber nicht schmälern.

Das Rechtshandbuch Industrie 4.0 und Internet of Things ist im Handel zum Preis von 189 Euro verfügbar. Für diese Besprechung hat der Verlag hat eine kostenfreie Version zur Verfügung gestellt.

Nach dem kurzfristig digitalen Sommersemester 2020 hatten Studierende und Lehrende allerorten auf ein Wintersemester mit viel Präsenzlehre gehofft. Daraus wird leider wenig: Die meisten Universitäten sehen auch im Winter 2020/21 keine Alternative zur virtuellen Lehre. Gleichzeitig wächst auch die Bedeutung anderer digitaler Studienformate. Wir haben uns mit dem Gründer der Jura-Lern-App Jurafuchs unterhalten. Christian Leupold-Wendling hat seine Großkanzlei-Anwaltsrobe an den Nagel gehängt, um diese App auszufuchsen. Hier sind unsere Fragen und seine Antworten.

Christian, Du hast einen vielseitigen Lebenslauf: Erst Anwalt bei Hengeler, dann Gründer von Jurafuchs. Ist das ein Aufstieg oder ein Abstieg?

Christian Leupold-Wendling: Vielen Dank für das Lob! Zunächst einmal ist es für mich persönlich ein Fortschritt, weil es der nächste logische Karriereschritt ist. Ich habe als Student ja schon einmal gegründet, und zwar den deutschen Ableger einer internationalen Menschenrechtsorganisation (IJM Deutschland e.V.). Gründen ist meine Leidenschaft. Ich liebe aber auch juristisches Arbeiten und juristische Bildung. Es passt also alles gut zueinander und ich profitiere bei Jurafuchs auch enorm von meiner Ausbildung bei Hengeler Mueller. Insbesondere Legal Writing ist etwas, wofür es meines Erachtens eine Schule geben sollte. Ich hatte das Glück, bei Hengeler Mueller bei den Veteranen Henning Bälz und Wolfang Spoerr lernen zu dürfen. Das ist meines Erachtens eine der anspruchsvollsten Schulen, die man durchlaufen kann.

Was ich bei Hengeler sehr geschätzt habe: Die Lernkurve war sehr steil. Es ist ein sehr inspirierendes und anspruchsvolles Umfeld. Das ist bei Jurafuchs ähnlich, nur in anderen Disziplinen. In den letzten zweieinhalb Jahren habe ich mich sehr stark weitergebildet in Sachen digitales Marketing, Produktentwicklung (UX), Fundraising, Recruiting usw. Ich genieße sehr die Vielseitigkeit meiner Tätigkeit bei Jurafuchs. Was die zur Verfügung stehenden Ressourcen angeht, war es natürlich zunächst ein Rückschritt. Was die persönliche Freiheit und den Grad der Fremdsteuerung angeht, ist es wiederum ein enormer Fortschritt. Persönlich könnte ich mit der Arbeitssituation derzeit nicht glücklicher sein.

Nach einem gewissen Testlauf kostet die Jurafuchs-App Geld. Warum ist das für Jurastudierende eine gute Investition?

Christian Leupold-Wendling: Bildung ist fast immer eine gute Investition. Dafür brauchen wir glaube ich keine Werbung zu machen. Die Frage ist aber natürlich: Was bringt mir Jurafuchs im Jurastudium und ist es verglichen mit anderen Lernmitteln eine gute finanzielle und zeitliche Investition? Unsere Antwort: Es bringt sehr viel, der zeitliche Aufwand lässt sich stets den individuellen Bedürfnissen anpassen, und es ist sehr günstig.

Unsere Abos starten aktuell bei € 5,99 im Monat. Dafür bekommen die Studierenden anspruchsvolle Fälle – mittlerweile über 10.000 Fragen –, aktuelle examensrelevante Rechtsprechung aus allen Rechtsgebieten, Hilfe auf der Motivationsseite und ein hochwertig moderiertes Forum. Welchen Lernwert Jurafuchs hat, zeigt sich wahrscheinlich nirgendwo besser, als auf unserer Streak-Rangliste: Niemand lernt über 745 Tage in Folge mit einer App, die nicht liefert. Tatsächlich ist es so, dass Jurafuchs einzigartig ist und es auch derzeit nichts Vergleichbares gibt. Wir sind davon überzeugt, dass wir mit unserem Vierklang Apps, Microlearning, Gamification & Community Neuland in der juristischen Ausbildung beschreiten, das bei den Studierenden sehr gut ankommt.

Übrigens: Wir haben nichts dagegen, wenn die Universitäten die Lizenzgebühren übernehmen, so dass die Studierenden Jurafuchs kostenlos nutzen können. Wir haben in der Corona-Krise für drei Monate sogar rund der Hälfte der deutschen Fakultäten kostenlose Campus-Lizenzen für alle Studierenden zur Verfügung gestellt. Allerdings fast überwiegend auf ausdrücklichen Wunsch der Fachschaften. Die Fakultäten setzten sich da deutlich weniger für ihre Studierenden ein. Es ist eine immer noch weit verbreitete Auffassung, dass Universitäten für den Erwerb digitaler Lernmittel „nicht zuständig“ wären. Auch von dem fehlgeleiteten Mantra, dass Universitäten „keine kommerziellen privaten Lernangebote“ unterstützten, können sich viele bislang nicht lösen. Dabei scheint es kein Störgefühl auszulösen, dass im Print-Bereich andere Regeln gelten und Universitäten selbstverständlich die gängigen Produkte großer Verlage beziehen, die ein privates Gewinninteresse haben. Schließlich gibt es ganz profan enorme Berührungsängste der älteren Generation mit dem Medium Apps. Wir sind aber überzeugt, dass die Vorzüge von digitalen Lernmedien sich durchsetzen werden. Gerade der Vergleich zum Lehrbuch zeigt, dass die Erkenntnis- und Reaktionsmöglichkeiten einer Redaktion auf die inhaltlichen Bedürfnisse der Studierenden über eine App deutlich präziser und agiler sind als etwa bei einem dicken Jura-Wälzer.

Was bringt Microlearning für Macroexamina?

Christian Leupold-Wendling: Microlearning ist ein schillernder Begriff, dem unterschiedliche Bedeutungen beigelegt werden können. Wir verstehen darunter: Lernen in kurzen Schritten und kleinen Einheiten, sofortige Rückkopplung, d.h. Kontrolle des Lernerfolgs, und eingebaute Wiederholungen. Zur Effektivität von Microlearning beim Sprachenlernen gibt es zwei große, aussagekräftige Studien: Nach einer Studie von Wissenschaftlern der City University of New York und der University of South Carolina aus dem Jahr 2012 brauchten Duolingo-Nutzer im Schnitt 34 Stunden mit der Sprachlern-App, um sich den Lernstoff eines Studiensemesters anzueignen. Mit Babbel benötigten Nutzer dafür sogar nur 21 Stunden, wie die gleichen Forscher 2016 herausfanden. Wir denken, dass sich dieser Erfolg im Sprachenlernen auf das Jurastudium übertragen lässt.

Was wir nicht unter Microlearning verstehen: beschränkte Themen und einfache Aufgaben. Unseres Erachtens benötigt man für das Erste und Zweite Juristische Staatsexamen eine gehörige Portion Grundwissen, viel Übung in juristischer Fall-Lösungs-Technik, einen guten Überblick in Form von Strukturwissen und im besten Fall verfolgt man noch die aktuelle Rechtsprechung zumindest überblicksartig. All das bilden wir in unserer App ab. Anfangs mit einem klaren Fokus auf Rechtsprechung und Fall-Lösungen. Zunehmend aber auch mit Struktur- und Überblickswissen in Form von Gruppierungsaufgaben und Aufgaben zu Reihenfolgen und Hierarchien. Weitere Formen der Wissens- und Verständnisvermittlung sind bereits in Arbeit. Die in der Jurafuchs App besprochenen Themen reichen inhaltlich von der Kausalität im Strafrecht und den Bestandteilen einer Willenserklärung über den Geheißerwerb im Sachenrecht, das Gesamthandseigentum als „ein die Veräußerung hinderndes Recht“ im Rahmen der Zwangsvollstreckung bis hin zur Entscheidung des BVerfG zum Kopftuchverbot für Referendarinnen.

Ergänzend zu unseren Inhalten, lernen unsere Nutzerinnen im Dialog miteinander. Wir sehen Community als ganz entscheidende Dimension, den individuellen Lernfortschritt zu beschleunigen. Einerseits können wir nicht alle Fragen antizipieren, die bei unseren Nutzerinnen entstehen, wenn sie unsere Aufgaben lösen. D.h. egal wie gut unsere Erklärungstexte geschrieben sind: Es wird immer Fragen geben, die sie nicht beantworten. Andererseits ist die Beantwortung der konkreten Fragen der Nutzer der sicherste Weg, etwaige Irrtümer auszuräumen und das juristische Gedankengebäude bei unseren Nutzern zu komplettieren. Deshalb haben wir zu jeder Aufgabe ein eigenes Forum eingerichtet und moderieren fortlaufend alle neuen Threads. Unsere Community und unsere Moderatoren haben bereits über 80% aller Fragen beantwortet.

Übrigens sehen wir Jurafuchs nicht allein als Tool zur Examensvorbereitung. Unser Anspruch ist deutlich breiter: Wir wollen umfassende juristische Bildung ermöglichen. Natürlich liegt der Fokus weiterhin auf der Fall-Lösung und dem examensrelevanten Kernstoff. Wir haben aber ergänzend vor Kurzem damit begonnen, häufig vernachlässigte Grundlagenfächer wie Rechtsgeschichte, Rechtstheorie & Methodenlehre zu besprechen. Zudem machen wir gerade eine Reihe von Experimenten mit Zusatzqualifikationen, wie z.B. Mathematik & Statistik für Juristen.

Was hat sich nach Eurer Wahrnehmung in der Corona-Krise am Lernverhalten von Jurastudierenden geändert?

Christian Leupold-Wendling: Wir beobachten nur einen Teil des Lernverhaltens von Jurastudierenden. In diesem Rahmen haben wir qualitativ und quantitativ gemessen, dass die Studierenden einen deutlich gesteigerten Bedarf an unseren Apps, an einer Hilfestellung in Sachen Motivation und am Austausch haben. Konkret haben sich die Anzahl der zahlenden Nutzer und der Umsatz etwa verdreifacht seit Ausbruch der Corona-Krise. Die Anzahl der beantworteten Fragen pro Nutzer hat sich verdoppelt, die tägliche durchschnittliche Verweildauer in der App hat sich um 20% gesteigert.

All das freut uns natürlich sehr und es ist sicher auch nicht nur auf Corona zurückzuführen. Wir sind als Startup unabhängig davon in einer rasanten Wachstumsphase. Seit Ausbruch der Corona-Krise fühlen wir uns aber auch mitverantwortlich, dass die Studierenden in dieser Situation nicht alleingelassen werden und trotz erschwerten Bedingungen im Stoff vorankommen. Wir haben deshalb in dieser Phase auch geliefert: Insbesondere haben wir die Anzahl der neuen Aufgaben, die wir monatlich in die Jurafuchs App laden, verdreifacht. Entscheidend dafür sind unsere exzellenten wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen, die die Freude an Jura mit der Begeisterung für Jurafuchs und der Digitalisierung des juristischen Lernens verbinden. Und wir bekommen dauerhaft hervorragende Bewerbungen und bemühen uns, so vielen wie möglich einen Job zu geben.

Sind Apps das neue Repetitorium? Wie sieht das Jurastudium der Zukunft aus?

Christian Leupold-Wendling: Apps sind ein wesentlicher Teil der Zukunft des juristischen Lernens. Wir haben dazu letztes Jahr unsere Gedanken einmal aufgeschrieben und in der RI (Recht Innovativ) veröffentlicht. Es gibt (neben zahlreichen kleinen) vier große Innovationen für juristische Bildung, die in Jurafuchs stecken: Apps, Microlearning, Gamification & Community. Jurafuchs hilft dabei, das Selbststudium zu erleichtern, die Motivation beim Lernen aufrechtzuerhalten, und bietet eine hochwertige Diskussionsplattform.

Präsenzunterricht wird dadurch keinesfalls abgelöst – ob an der Uni oder im Rahmen von Repetitorien. Wir glauben an die Vision des „Flipped Classroom“, d.h. dass Hausaufgaben und die Stoffvermittlung vertauscht werden, so dass die Lerninhalte zu Hause von den Lernenden erarbeitet werden und die Anwendung und Klärung von Fragen im Unterricht erfolgt. Dies befreit die Präsenzphase von der Last der Vermittlung umfangreichen Faktenwissens und fördert die Wissensanwendung. Dies ist gerade für Jura unerlässlich und kommt nach unserem Dafürhalten in der klassischen Ausbildung deutlich zu kurz. Zudem wissen die Lehrenden im Optimalfall, mit welchem Wissensstand, welchem Vorwissen und welchen Schwierigkeiten ihre Studierenden in die Vorlesung kommen. Ich habe das selbst erlebt während meines LL.M.-Studiums in Cambridge: Eine sehr umfangreiche und zielgerichtete Vorbereitung auf Seiten der Studierenden verändert die Dynamik im Unterricht. Es werden viel mehr gute Fragen gestellt, Vorlesungen sind mehr Dialog als Monolog. Die Studierenden können ihr eigenes Wissen anwenden und Identifikation im Umgang mit ihrem Fach entwickeln. Und sie haben auch mehr Spaß an den Vorlesungen.

Herzlichen Dank für Deine aufschlussreichen Antworten! Dir und dem Jurafuchs weiterhin viel Erfolg!

Disclaimer: Dieses nicht-kommerzielle Interview kam aus reiner Neugier und auf Initiative des Interviewers zustande.

Legal Tech Hackathons haben inzwischen einen festen Platz im Kalender vieler JuristInnen und EntwicklerInnen der Legal Tech-Szene. Zuletzt erreichte das Konzept „Hackathon“ Bekanntschaft durch die Online-Veranstaltung „wirvsvirus“ im Frühjar 2020, bei der Menschen aus den unterschiedlichsten Fachrichtungen online zusammenkamen um gemeinsam Lösungen für coronaverwandte Probleme zu entwickeln. Diese Veranstaltungen, die nicht nur in Deutschland, sondern auf der ganzen Welt stattfinden, können aufstrebenden Legal Tech-Unternehmerinnen und Unternehmern die Tür öffnen in die Legal Tech-Welt der bereits lang etablierten Unternehmen und zurzeit überall aus dem Boden schießenden Startups. Dieser Artikel gibt einen Einblick in diese faszinierenden Events.

Was ist ein Hackathon?

Den ersten Hackathon besuchte ich 2016, noch während meines Studiums und mitten in der Examensvorbereitung. Das war kein Legal Tech-Hackathon, wie es sie heute vermehrt gibt, sondern ein reiner „Tech-Hackathon“, veranstaltet von einem großen Radiosender, um Innovationen zu fördern und Kontakt zur „jüngeren Generation“ herzustellen. Was ist ein Hackathon? Ein Hackathon ist eine Veranstaltung, während der zu Beginn meist von den Teilnehmern oder den Veranstaltern Ideen vorgestellt werden, zu denen sich dann interessenorientiert Teams bilden. Die Teams haben dann je nach Veranstaltung etwa 24-36 Stunden Zeit, ihre Ideen in die Tat umzusetzen. Nach Ablauf der Zeit erfolgt eine Präsentation der Ergebnisse vor einer Fachjury, im Anschluss daran in der Regel eine Preisverleihung. Als Juristin (die zwar gewiss einen technischen Hintergrund hat, aber sich selbst nicht als Hackerin bezeichnen würde) war das für mich damals ein großer Schritt. Allein bis ich mich zur Bewerbung durchgerungen hatte vergingen Tage, während ich darüber sinniert habe ob meine IT-Kenntnisse für so ein Event ausreichen, ob ich da als Einzelkämpferin – und natürlich als Frau* – ohne Kommilitonen oder Freunde hinfahren möchte, ob Juristen da überhaupt hindürfen, und so weiter und so fort.

* Ich bin die Letzte, die die Eignung für oder gegen so ein Event am Geschlecht festmachen würde. Leider ist es aber immer noch so, dass wir Frauen bei solchen Events dramatisch unterrepräsentiert sind.

Als ich nach einigen Wochen meine abgeschickte Bewerbung schon fast vergessen hatte, bekam ich die Zusage. Kurz darauf stellte sich heraus, dass alle – wirklich alle – Sorgen unbegründet waren. Wenn auch die Männer in der Überzahl waren, fand ich mich später in einem geschlechtermäßig ausgeglichenen Team wieder, und es waren durchaus auch Menschen ohne jegliche Programmierfähigkeiten angereist. „Gehackt“ wurde in einem Fernsehstudio, abends gabs einen Flammkuchenbäckerstand, und die Zeit ging viel zu schnell vorbei.

Take something away…

Meine Key-Take-Aways aus 2016 waren:

  • Alleine anreisen kann seine Vorteile haben (es fällt unter Umständen leichter, Kontakte zu knüpfen).
  • Jede/r hat irgendwelche Fähigkeiten, mit denen sie/er sich in einem Team einbringen kann. Es ist nicht zu unterschätzen, dass die Lösung nicht nur programmiert, sondern auch konzipiert, gebrainstormt, das Design gestaltet, ein Business Plan ausgearbeitet, der Wettbewerb analysiert und insbesondere das Konzept vor der Jury auch präsentiert werden muss.
  • Durch die knappe Zeit, die die Teams haben, um ihre Idee umzusetzen, entsteht eine unglaublich spannende Gruppendynamik.
  • Es besteht die Möglichkeit, neben den interessanten Kontakten zu anderen Teammitgliedern und anderen Teams auch die einmalige Chance zu ergreifen, sich mit den Jury-Mitgliedern zu unterhalten, die oftmals Rang und Namen in der Branche haben und sonst selten „greifbar“ sind.
  • Es macht enorm viel Spaß, einfach mal aus dem Alltag auszubrechen und sich 24 – 36 Stunden mit etwas ganz Anderem zu beschäftigen.

Ich gebe zu: das Konzept „Legal Tech“ war mir in 2016 erstmals begegnet, und ich hatte nicht geahnt, dass es auch – und gerade? – in diesem Bereich zahlreiche Veranstaltungen zu entdecken gibt. Zudem kannte ich an meiner Uni niemanden, der sich wie ich mit den Schnittstellen zwischen Recht und Technik beschäftigt.

Bis auf die Tatsache, dass ich (als „Legal“) zum Hackathon („Tech“) gefahren bin, hatte das 2016 noch nicht viel mit Legal Tech zu tun. Die Lösungen, die wir entwickelt haben, drehten sich unter anderem um Personalfindung, Medien, und Pressekontakte, aber nicht um Innovationen im Rechtssektor. Dennoch war das für mich eine wichtige Erfahrung, denn wer weiß, ob ich mich andernfalls drei Jahre später auf meinen ersten Legal Tech-Hackathon gewagt hätte.

Weiter ging’s 2019…

2019 machte ich mich also auf zum „hacking.law“, einem großen Legal-Tech-Hackathon in Berlin. Auch hier bin ich alleine – ohne Team, ohne Idee, ohne spezifisches Hintergrundwissen – angereist. Das Besondere: schon bei der Bewerbung konnte man sich einer Teilnehmergruppe zuordnen (BenutzerschnittstellendesignerIn, JuristIn, EntwicklerIn, „Legal Engineer“ – als „Mensch aus beiden Welten“ bzw. JuristIn mit technischem Hintergrund etc.) und während der Veranstaltung mittels farblichen Erkennungszeichens kenntlich machen. Nach einer „Idea Hacking Session“, in der zu verschiedenen Oberthemen an unterschiedlichen Stationen kurze Einführungen gegeben wurden, hatten die TeilnehmerInnen die Möglichkeit, Projektideen vorzustellen, und sich anschließend zu Teams zusammenzufinden. Dann folgte das, worauf alle gewartet haben: 24 intensive, spannende und kreative Stunden später hatten wir es geschafft, aus unserer initialen Idee einen funktionsfähigen, präsentierbaren Prototypen auf die Beine zu stellen.

Typisch für Hackathons: Eine inspirierende, produktivitätsfordernde Atmosphäre. Für Verpflegung ist bestens gesorgt, und in Berlin gab’s sogar eine Massagestation für alle, denen die Verspannung im Nacken saß. Zwischendurch war immer wieder Gelegenheit, mit anderen TeilnehmerInnen ins Gespräch zu kommen und dadurch die Legal Tech-Community kennenzulernen.

Am nächsten Tag um 16:00 – nachdem die Expertenjury ihren Rundgang gemacht und erste Eindrücke gesammelt hatte – war dann die Hacking-Phase beendet. Auch hier folgten die Pitches (Präsentation der Ergebnisse) und die Siegerehrung, abgeschlossen und abgerundet wurde das Event durch eine Party mit DJ, die weitere Gelegenheit zum Austausch bot und den Teams eine willkommene Gelegenheit gab, ihre Leistungen zu feiern.

Hackathon goes IP…

Im November 2019 habe ich noch ein anderes Format kennengerlernt: Diesmal war ein Hackathon explizit als Intellectual Property Hackathon ausgeschrieben. Die BewerberInnen wurden im Voraus Teams zugeteilt, und jedes Team hat sich vor der Veranstaltung eine vom Veranstalter – bzw. von teilnehmenden Firmen – vorgeschlagene Aufgabenstellung ausgesucht. Dadurch fiel die Teamfindungs- und Ideenvorstellungsphase weg, und wir konnten direkt in die Arbeit einsteigen. Das Besondere hieran: die Aufgabenstellungen kamen allesamt aus der Praxis. Jedem Team war ein Firmenvertreter zugeteilt, der bzw. die weitere Informationen zu den zu lösenden Problemen geben konnte. Dadurch entstanden Lösungen, die ein großes Potenzial haben, in der Praxis auch tatsächlich Fuß zu fassen – nicht nur durch die Herkunft der Aufgabenstellung aus einem realen Problem, sondern auch durch die enge Zusammenarbeit mit den Firmenvertretern.

Fazit: Die Legal Tech-Community ist viel größer als gedacht! Und auf einmal fühlt man sich als Teil davon. Es gibt zahlreiche JuristInnen, die mit Leidenschaft an die Themen Technik und Digitalisierung herangehen, und es gibt viele ITlerInnen, die auch vor der Rechtswissenschaft keine Scheu haben. Die Symbioseeffekte waren eindrucksvoll in den Pitches am Ende der Veranstaltung zu spüren. Und das ist es auch, was Hackathons in meinen Augen so wichtig und besonders macht: sie bringen Menschen zusammen, die sonst oft in völlig verschiedenen (Berufs-)Welten leben und ermöglichen einen Austausch, wie er sonst nur schwer möglich ist. Dadurch können Ideen gedeihen.

Hackathon und ich? Traut Euch!

Ein Hackathon kann die Initialzündung für Start-Ups sein – man hat schon einmal intensiv zusammengearbeitet, hat eine gemeinsame Idee und gemeinsame Ziele. Häufig helfen die ausgeschriebenen Gewinne sowohl monetär als auch ideell den Teams gezielt weiter, ihre Ideen zu entwickeln und die richtigen Kontakte zu Investoren herzustellen. Auch internationale Kontakte sind möglich: so durften wir als Gewinnerteam einer der Veranstaltungen in die Auswahlrunde für den Global Legal Hackathon einziehen, und unsere Idee letztendlich im großen Finale mitten in Manhattan in New York präsentieren. Dabei sind wir auf Teams aus aller Welt getroffen, konnten unsere Idee in einem Podcast vorstellen und unser Netzwerk ausbauen.

Ich kann also nur appellieren: Wagt euch an die Hackathons ran, auch wenn ihr euch nicht sicher seid oder Zweifel daran habt, „ob das etwas für euch ist“. Die gewonnenen Erfahrungen sind unbezahlbar.

Der Anwaltstag 2020 findet vom 17. bis zum 19. Juni 2020 im RheinMain CongressCenter in Wiesbaden statt. Das Thema lautet „Die Kanzlei als Unternehmen“. Man könnte auch etwas schnittiger formulieren: „Legal Entrepreneurship„! Worum geht es und welche Teilveranstaltungen sind besonders zu empfehlen?

Legal Entrepreneurship beim Anwaltstag 2020: Das müssen wir diskutieren!

Nach § 1 BRAO sind Anwälte unabhängige Organe der Rechtspflege. Was nicht im Gesetz steht: Sie sind auch Unternehmer und pflegen daher auch ihr eigenes Konto. Beides ist häufig gut miteinander vereinbar, steht aber zunehmend auch in einem Spannungsverhältnis zueinander. Manche sprechen voller Sorge von amerikanischen Verhältnissen. Was damit gemeint ist, kann man aktuell in der 5. Staffel der Kultserie Better Call Saul besichtigen. Die damit zusammenhängenden Fragen sind aber auch im deutschen Rechtsraum schon heute virulent: Sollte man beispielsweise einen Fall vor die Gerichte tragen, wenn man ihn rechtlich für schwach, unternehmerisch aber für aussichtsreich hält? Darf man Mandanten anwerben, obwohl diese eigentlich gar kein rechtliches Problem wahrnehmen? Oder in Zeiten von Cum Ex: Muss man sich bei der Rechtsberatung an das Gesetz halten, auch wenn man davon ausgeht, dass man mit einem Rechtsverstoß irgendwie durchkommen würde?

Anwaltstag 2020: Hier wird es spannend!

Der Anwaltstag 2020 geht diesen Fragen nach. Wie immer gibt es dabei mehrere parallel stattfindende Veranstaltungsspuren. Die Teilnehmer stehen also vor der Qual der Wahl: Welche Programmpunkte sind besonders interessant? Hier eine subjektive Auswahl mit besonderem Augenmerk auf dem Spannungsfeld zwischen Organ der Rechtspflege und Unternehmergeist.

  • 17. Juni 2020, 13.30 bis 17.15 Uhr, 1. OG, Forum 1.1:
    Wie wichtig ist unternehmerisches Denken im Anwaltsberuf?
    Mit Diane Robers, Wolf Kahles, Sabine Gries-Redeker, Sonka E. Mehner, Thilo Wagner, Heidi Mahr, Sven Hasenstab, Markus Hartung und Reyhan Akar
  • 18. Juni 2020, 9.30 bis 10.30 Uhr, EG, Halle Nord C:
    Festvortrag: Wer bremst verliert! Die neuen Tugenden der Zukunftsmacher
    Mit Kerstin Plehwe
  • 18. Juni 2020, 11.00 bis 12.30 Uhr, 1. OG, Studio 1.3 A+B:
    Die Regulierung des Rechtsdienstleistungsmarktes in Zeiten von Legal Tech – quo vadis RDG & BRAO
    Mit Fabian Widder, Rainer Kaul, Jutta Gurkmann, Thomas Lämmrich, Daniel Halmer, Martin Schafhausen und Matthias Kilian
  • 18. Juni 2020, 13.45 bis 15.15 Uhr, 2. OG, Loge 2.1 A+B:
    Erst das Fressen, dann die Moral? – Wann wird das Geld verdienen unmoralisch?
    Mit Niko Härting, Markus Hartung und Corinna Budras
  • 18. Juni 2020, 13.45 bis 15.15 Uhr, 1. OG, Studio 1.2 B+C
    Die Anwältin als Unternehmerin – Finanzieller Erfolg durch Spezialisierung
    Mit Barbara Mayer, Monika Hähn, Christina Johanna Bernath zu Bernathfalva und Christina Unterberger
  • 18. Juni 2020, 15.45 bis 16.45 Uhr, 1. OG, Studio 1.3 C+D
    Legal Tech und Akquise in kapitalmarktrechtlichen Massenverfahren: Zivilprozessuale Konsequenzen für den Anwaltsmarkt
    Mit Frank R. Remmertz, Daniela Bergdolt und Karsten U. Bartels
  • 18. Juni 2020, 15.45 bis 17.45 Uhr, 1. OG, Studio 1.1 A+B
    Finanzierung des Unternehmens Anwaltskanzlei – Alternativen zum Fremdbesitz?
    Mit Oliver Islam, Gerlinde Fischedick, Carsten Schneider, Holger Stein, Jens Spitzner und Markus Hartung
  • 19. Juni 2020, 11.00 bis 12.30 Uhr, 1. OG, Forum 1.3:
    Anwaltliche Werbung 2020 – Wie dürfen wir (nicht) werben?
    Mit Christian Deckenbrock, Christian Lemke, Susanne Reinemann, Yvonne Kleinke und Jens Fusbahn
  • 19. Juni 2020, 11.00 bis 12.30 Uhr, 2. OG, Loge 2.2 A+B
    Pro Bono
    Mit Reinhard Gaier, Peter Braun, Karoline Fritz, Constanze Würfel und Tobias Freudenberg
  • 19. Juni 2020, 13.45 bis 15.15 Uhr, 1. OG, Studio 1.3 B+C
    Der elektronische Zivilprozess – Ein virtuelles Gerichtsverfahren von A (außergerichtlich) bis Z (Zwangsvollstreckung)
    Mit Ulrich Volk, Alexander Knauss, Henning Müller und Ralf Köbler

Vermutlich sitzen in diesem Moment in Deutschland 100 Doktorandinnen und Doktoranden an einer Legal-Tech-Doktorarbeit. Eine ist schon fertig: Im Interview verrät uns Christina-Maria Leeb, was sie bei ihrer Arbeit herausgefunden hat.

Was sind die wichtigsten Erkenntnisse Deiner Arbeit in drei Sätzen?

Ein Rechtsanwalt kann seiner Aufgabe und Funktion als Organ der Rechtspflege in der Informationstechnologiegesellschaft nur (noch) ausreichend nachkommen, wenn er sich auch an die Veränderungen der Lebenswirklichkeit sowie in den Bereichen Rechtsdurchsetzung und Verwaltung mit Blick auf die Digitalisierung umfassend anpasst. Schon das geltende (Berufs-)Recht ermöglicht an vielen Stellen eine innovationsfreundliche und zukunftsoffene Interpretation, etwa mit Blick auf technologieunterstützte Arbeitsweisen. Und rechtstheoretisch ist Legal Tech insgesamt angesichts des verbesserten und breiteren Zugangs zum Recht als Chance für den Rechtsstaat zu begreifen.

Kann man Deine Arbeit schon als Studentin mit Gewinn lesen oder ist das eher nur etwas für Kanzleien und Ministerien?

Ich vermute zwar stark, dass während des Studiums – zumindest außerhalb der Abfassung einer Seminararbeit im Schwerpunktstudium – eher wenige Studierende auf diesen Gedanken kommen werden, aber falls doch, nur zu. 🙂 Ich beschäftige mich darin auch mit der juristischen Ausbildung, vielleicht ist dieser Aspekt ja für die genannte Zielgruppe besonders spannend.

Du schlägst in Deiner Arbeit eine Reihe von konkreten Maßnahmen vor…

…z.B. eine IT-Fortbildungspflicht für Rechtsanwälte und die Vermittlung von E-Justice-Kompetenz im Jurastudium. Wie optimistisch bist Du, dass sich diese Empfehlungen in den nächsten fünf Jahren realisieren lassen?

Bei der IT-Fortbildungspflicht gab es 2017 schon eine – letztlich gescheiterte – Reformdiskussion, daher befürchte ich, dass das Thema wohl nicht mehr so schnell auf den Tisch des Gesetzgebers gelangt. Besser stehen die Chancen meiner Meinung nach bei der E-Justice-Kompetenz. Hier ist kürzlich Baden-Württemberg als erstes Bundesland aktiv geworden. Seit Ende April 2019 berücksichtigt der in der dortigen Juristenausbildungs- und Prüfungsordnung enthaltene Katalog an notwendigen Schlüsselqualifikationen für Studierende die „zunehmende Bedeutung der Digitalisierung“ bzw. „digital[e] Kompetenzen“. Selbiges gilt für die Referendarausbildung. Ende November 2019 folgte hier der erste Workshop zu den Themen Künstliche Intelligenz und Recht, Legal Tech in der Praxis, Berufsrecht und Legal Tech sowie Legal Design Thinking. Erfreulicherweise tut sich hier also etwas und ich hoffe, dass bald auch andere (oder natürlich idealerweise alle) Bundesländer dem Vorbild Baden-Württembergs folgen.

Auf einer der ersten Seiten Deiner Arbeit zitierst Du Friedrich Schiller: “Wer nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit.”

Wie groß ist Deine Sorge, dass die Digitalisierung des Rechtswesens neben der von Dir genannten Chance für den Rechtsstaat auch viele Verlierer mit sich bringen könnte, z.B. weil in einem verschärften Rechtsdienstleistungswettbewerb juristische Brillanz gegen unternehmerisches Gespür wenig auszurichten hat?

Dass ein gewisser Teil (nicht nur) anwaltlicher bzw. juristischer Tätigkeit in Zukunft durch Automatisierung und Standardisierung wegfallen wird (und sogar schon weggefallen ist), ist Fakt. In diesem Teil geht es jedoch ohnehin nicht darum, „juristische Brillanz“ an den Tag zu legen, sondern einfache, wiederkehrende Sachverhalte einer eindeutigen rechtlichen Bewertung zuzuführen. Vielmehr wird es im Wettbewerb vor allem erst einmal darum gehen, seine Arbeitsabläufe und Prozesse mithilfe von Technologie intelligent zu organisieren und zu strukturieren.

Welchen Tipp würdest Du…

…einer Rechtsanwältin geben, die aktuell sehr erfolgreich das klassische Modell “Einzelanwältin mit goldenem Kanzleischild” fährt, sich aber sicherheitshalber für eine digitalisierte Zukunft wappnen möchte?

Generell ist aus meiner Sicht das zu Recht vielgepriesene „Mindset“ entscheidend, also die Offenheit gegenüber neuen Themen bzw. Technologien. Mögliche konkrete Fragen, die sie sich stellen könnte, sind: Wie (gut) bin ich im Internet auffindbar? Entspricht meine Anwaltssoftware meinen Bedürfnissen? Wie kann ich meine internen Abläufe effizienter machen? Mit welchen digitalen Tools könnte ich meinen Mandantinnen und Mandanten eventuell zukünftig einen Mehrwert bieten?

Der Abschluss einer Doktorarbeit schafft meist Raum für Neues. Was steht bei Dir an und welches konkrete Thema treibt Dich gerade um? 

Der nächste berufliche Schritt wird sein, dass ich zum 1. April 2020 mein Referendariat beginne. Aus persönlichem Interesse heraus beschäftige ich mich derzeit viel mit Künstlicher Intelligenz. Kürzlich habe ich den sehr interessanten und lehrreichen Zertifikatskurs „Elements of AI“ der University of Helsinki absolviert, der ursprünglich nur für finnische Staatsbürgerinnen und Staatsbürger konzipiert wurde, um die Bevölkerung fit für die Zukunft zu machen und nun für alle Interessierten unter https://www.elementsofai.com/ frei zugänglich ist.

Liebe Christina, herzlichen Dank für Deine interessanten und ermutigenden Antworten!

Die Arbeit von Christina-Maria Leeb ist 2019 unter dem Titel „Digitalisierung, Legal Technology und Innovation“ im Verlag Duncker & Humblot im Printformat und als E-Book erschienen.

Zum guten Schluss: Christina Leeb ist ein Must-Follow in den sozialen Medien:

Legal Design war ein großes Thema bei vielen Tagungen im Jahr 2019. Was steckt hinter diesem Begriff? Wir haben uns einmal unterhalten mit Astrid Kohlmeier, einer der wenigen Legal-Design-Pioniere in Deutschland. Hier ist unser Interview:

Kann man „Legal Design“ als „kundenorientierte Rechtsdienstleistung“ übersetzen?

Eher nicht. Legal Design ist vielmehr eine Methode, mit der kundenzentrierte Produkte und (Rechts)-dienstleistungen entwickelt werden.

Die Methode basiert auf der Design Thinking Methode, die in fast allen Branchen seit vielen Jahren zum Einsatz kommt, wenn es um die Gestaltung und Entwicklung innovativer Produkte und Services geht. Sie wird kombiniert mit den Herausforderungen und Erfordernissen, die sich im rechtlichen Kontext ergeben. Die Arbeit der Legal Designer besteht im Grunde darin, das rechtlich Erforderliche mit dem gestalterisch Möglichen zu verbinden.

Häufig führt die Anwendung der Legal Design Methode zur Vereinfachung von Inhalten und Abläufen – Ziel ist es dabei aber nicht, das Recht zu banalisieren. Denn Juristen assoziieren mit „Vereinfachung“ manchmal auch das Beschneiden von rechtlichen Positionen oder das Eingehen von Risiken. Genau darum geht es nicht, sondern es geht darum das Recht und alles was damit zu tun hat so auszugestalten (designen), dass es leichter zugänglich, besser nutzbar und verständlicher wird.

Konkret geht es z.B. um die Visualisierung rechtlicher Inhalte wie Verträge. Wir Legal Designer haben stets den Nutzer eines Vertrages im Fokus und setzen uns mit Hilfe unterschiedlicher Untersuchungsmethoden intensiv mit dem Bedarf des Empfängers von Recht in seinem Kontext (eben z.B. einem bestimmten Vertragspartner) auseinander.

Ebenso wie der Inhalt eines Vertrages (was steht im Vertrag, wie ist er formuliert, wie kann Kompliziertes mit Hilfe von einfacherer Sprache, kürzeren Sätzen und Visualisierungen verständlicher werden, welche Begriffe müssen für den jeweiligen Empfänger im Vertrag erklärt werden etc.), lässt sich mit der Legal Design Methode aber auch das ganze Prozedere gestalten, das zum Abschluss eines Vertrages nötig ist. Damit sind vor allem interne Strukturen und Workflows in Unternehmen und Kanzleien gemeint. Wenn diese nutzer- und menschenzentriert (abgeleitet aus dem sog. human centered design) gestaltet werden, vereinfachen sich meistens auch die Abläufe und es kann effizienter gearbeitet werden. Wir beantworten stets die Frage nach dem „Warum“ etwas genutzt wird oder sinnvoll ist, denn nur wenn der Grund und damit auch ein Problem klar definiert wird, kann eine sinnvolle Lösung entwickelt werden. Im Endeffekt trägt eine so geschaffene, nutzerzentrierte Struktur dazu bei, dass sich bestimmte Abläufe standardisieren lassen, was, und hier wird der Zusammenhang mit Legal Tech erstmals klar, dann auch in technische Instrumente / Systeme übersetzt werden kann.

Ich behaupte sogar, dass gute Legal Tech Angebote ohne Legal Design / Design Thinking eigentlich kaum möglich sind. Denn nur wenn ich weiß, was Nutzer wirklich brauchen und einsetzen, kann ich auch intelligente digitale Lösungen schaffen, die einen echten Mehrwert für die Betroffenen erzeugen. Und wenn es z.B. um Automatisierung von Abläufen geht, ist es sinnvoller, wenn ich das vorhandene System zunächst analysiere und optimiere, mir darüber klar werde, wie Nutzer wirklich arbeiten wollen, was ihnen wirklich nützt und wo Automatisierung im jeweiligen Ökosystem überhaupt Sinn macht und wo nicht, bevor ich das System durch Technik ablöse oder unterstütze.

Wie sind Sie zum Legal Design gekommen?

Ausschlaggebend für mich war eine gewisse Unzufriedenheit mit dem System in der Rechtsindustrie und vor allem wie wir Anwälte mit Recht in der Praxis umgehen und es „an den Mann bringen.“ Intuitiv wusste ich immer, dass der Bereich Design, vor allem das Kommunikationsdesign, viele Möglichkeit bietet, wie wir auch rechtliche Inhalte besser transportieren können. Wendet man die grundlegende Designphilosophie „form follows function“ auch in rechtlichen Themen an, eröffnen sich plötzlich viele Möglichkeiten, gestalterisch zu besser verständlichen und zugänglichen Inhalten zu gelangen. Das reicht von der oben genannten Vertragsgestaltung bis zur Gestaltung eines user interface einer technischen Oberfläche und der damit verbundenen user experience.

Während meiner Tätigkeit als head of marketing & communications einer Tochtergesellschaft der Munich Re studierte ich daher Mediadesign und kombiniere seitdem das Beste aus den beiden Welten Recht und Design.

Erst vor wenigen Jahren hat sich dann der Begriff „Legal Design“ begründet und seither bin ich im wahrsten Sinne des Wortes „Legal Designerin“.

 

Wer fragt Legal Design heute schon in der Praxis nach?

Ich berate vorwiegend Rechts- und Vertragsabteilungen großer Unternehmen sowie große Kanzleien, die den Bedarf ihrer Klienten nach Effizienz immer mehr zu spüren bekommen.

Der Beratungsbedarf ist dabei riesig – es geht in vielen Fällen erst einmal darum, sich mit dem Thema Innovation als solches auseinanderzusetzen. Denn hier sind die rechtlichen Organisationen in der Regel nicht geschult ­– woher auch: wir lernen das innovative Mindset nicht im juristischen Studium. Aber genau das Mindset ist die Grundvoraussetzung, um mit den Veränderungen im Rechtsmarkt, sei es durch Technik oder auch durch vermehrte Regularien, besser umgehen zu können. Nur mit einem agilen Mindset lassen sich bessere, zeitgemäße Lösungen finden. Zudem werden wir eher in ein Zeitalter geraten, in dem wir uns besser wappnen sollten für die massiven Veränderungen, die gerade aus der Richtung Technik (KI) auf uns alle zukommen. Legal Design bietet das richtige Werkzeug, um so ein innovatives Mindset zu entwickeln, das ist das Gute!

In Kanzleistrukturen geht es neben dem innovativen Mindset aber auch um die Beratung im Zusammenhang mit Legal Tech Lösungen, die dort für Klienten entwickelt werden.

Im Bereich der Vertrags- und Rechtsabteilungen wird häufig die Vermittlung von Legal Design als Innovationsmethode nachgefragt, aber auch konkrete Projekte wie die Arbeit an einem bestimmten Vertragstyp. Für AIRBUS begleitete ich z.B. zuletzt die Entwicklung von nutzerzentrierten NDAs, bei der wir die bestehenden Verträge bedarfsorientiert komplett umstrukturiert haben: so haben wir die rechtlichen Inhalte verändert und an den Nutzerbedarf angepasst, den wir vorher intensiv untersucht haben. Wir haben die Struktur des NDAs grundlegend verändert, das Wording angepasst und visuelle Infografiken eingebaut. Die Verständlichkeit des Vertrages hat sich damit dramatisch erhöht, was wir, ganz methodengetreu, natürlich auch mit echten Nutzern getestet haben. Für die Zukunft bedeutet das nicht anderes als: messbar weniger Auseinandersetzungen und vor allem weniger Zeitaufwand sowohl auf Seiten von AIRBUS als auch potenziellen Business-Partnern.

Inwieweit sollten sich schon Studierende und Referendare mit dem Thema beschäftigen?

Sie sollten sich meiner Meinung nach so früh als möglich mit Legal Design auseinandersetzen, weil wir im klassischen juristischen Studium nicht systematisch lernen, uns mit dem Bedarf derjenigen auseinanderzusetzen, für die wir etwas schaffen oder die wir beraten. Wir lernen vielmehr, wie wir mit dem rechtlichen Werkzeug möglichst logisch umgehen, indem wir subsumieren und damit schnell zu einer eindeutigen, perfekten Lösung gelangen. Legal Design zeichnet sich dadurch aus, dass es sich einerseits Problemen anders, nämlich ganzheitlicher, nähert. Andererseits gibt Legal Design Raum, um verschiedene Lösungen auszuprobieren und zu testen, was funktioniert und was nicht. Diese Denke kann trainiert werden und daher ist die Kenntnis der Methode gerade für Studierende und Referendare ein zusätzlicher Skill, der später im Berufsleben äußerst nützlich ist. Egal in welcher Umgebung Juristen arbeiten. Gerade im Kontext der digitalen Transformation braucht es solche zusätzlichen Skills, die den Kern einer Problematik unter einem größeren Blickwinkel erforschen statt „nur“ vorhandene Gesetze und Rechtsprechung auf den Einzelfall zu übertragen. Also weg vom reaktiven Anwenden von Gesetzen hin zur Gestaltung besserer Lösungen.

Leider gibt es derzeit in Deutschland kaum Möglichkeiten für Studierende, das Thema Legal Design richtig zu erlernen. Es findet sich weder im juristischen Curriculum noch werden flächendeckend Veranstaltungen an Universitäten dazu angeboten. Ich selbst habe z.B. in diesem Sommer auf Einladung von Tianyu Yuan von Lex Superior an der Universität in Heidelberg einen Nachmittag lang eine Legal Design Session mit Studierenden aus den Bereichen Recht und IT abgehalten und die Teilnehmer waren begeistert. Die praktische und kreative Herangehensweise an ein frei gewähltes Thema hat ihnen besonders gefallen und eröffnete vielen die Option, das Thema Recht aus einem ganz anderen Blickwinkel zu sehen. Die Studenten entwickelten z.B. in dieser kurzen Zeit eine erst Plattformidee zum Thema „kostenloser Zugang zum Recht“ für Bürger mit eingeschränkten finanziellen Mitteln. Eine andere Gruppe arbeitete dagegen an einer Idee eines automatisierten „privacy policy-check“. Beides Themen von hoher Aktualität. Das war wirklich sehr interessant.

Ich plädiere dafür, dass Legal Design an allen Universtäten Deutschlands gelehrt werden sollte und nicht nur, wenn sich Studierende dafür speziell interessieren. Womit wir zu einem interessanten Problem kommen: es gibt nur sehr wenige Legal Designer, sowohl international als auch national. Hier in Deutschland sind es mittlerweile immerhin eine Handvoll – aber wir können derzeit den Bedarf der Nachfragen kaum bedienen. Wenn wir dann darüber nachdenken, dass Legal Design gelehrt werden sollte, weiß ich im Moment nicht, wie wir das bewältigen sollten.

Da sind Initiativen wie die Legal Labs, wie wir sie an einigen amerikanischen Universitäten finden, sehr interessant. An der Law School der Vanderbilt University in Nashville gibt es z.B. ein Programm Innovation im Recht, geleitet von einer beeinduckenden Juristin, Caitlen (Cat) Moon. Das könnten wir uns für Deutschland durchaus zum Vorbild nehmen: Cat Moon lehrt nicht nur agile Methoden wie Legal Design, sondern auch andere Skills, die sich rund um das Thema Innovation ranken. Und die Studenten können dort in dieser Disziplin einen Abschluss machen – ich denke, da sollten wir noch einmal genauer hinschauen und uns überlegen, wie wir so ein Konzept auch in Deutschland entwickeln können.

Wir arbeiten mit dem Liquid Legal Institute e.V., dessen Mitgründerin ich bin, gerade in einem unserer Projekte daran, wie die juristische Ausbildung künftig gestaltet werden muss, damit die Herausforderungen der Digitalisierung und den damit verbundenen Veränderungen am Rechtsmarkt begegnet werden kann.

Abgesehen von fehlenden Lehrveranstaltungen gibt es aber auch kaum Literatur über Legal Design (schon gar nicht auf Deutsch), vereinzelt findet man etwas, so gibt es z.B. im amerikanischen Raum eine Onlinepublikation von Margaret Hagan der Leiterin des Legal Design Labs der Stanford University. Und in Finnland haben wir z.B. mit Stefania Passera und Helena Haapio zwei Akademikerinnen, die über Vertragsdesign veröffentlicht haben. Tatsächlich arbeite ich selbst gerade an einer (deutschsprachigen) Publikation, aber bis zur Veröffentlichung dauert es noch ein wenig.

 

In Helsinki gibt es den Legal Design Summit, in London den Legal Design Geek. Was gibt es bzw. was planen Sie für den deutschen Rechtsmarkt?

Auf beiden Veranstaltungen war ich natürlich schon und ja, das sind tolle und inspirierende Initiativen – letztes Jahr war ich bei der Legal Design Geek auch als Rednerin eingeladen. Dieses Jahr schaffe ich es leider nicht. Doch die Zugkraft des Themas ist mittlerweile enorm! Der Legal Design Summit war z.B. innerhalb von nur EINER STUNDE restlos ausverkauft und es kamen immerhin 600 Teilnehmer!

Aber auch hier in Deutschland gab es 2018 schon ein einschlägiges, größeres Event: Gemeinsam mit Tamay Schimang haben wir im vergangenen November im ReInvent in Frankfurt ein zweitägiges Legal Design Retreat veranstaltet. Hier kamen ca. 80 Teilnehmer zusammen, die wir mit Unterstützung von 14 Legal Designern aus der ganzen Welt durch die Methode des Legal Designs geführt haben. Wir arbeiteten parallel in 7 Gruppen an verschiedenen Themen und entwickelten Prototypen für die jeweilige Aufgabenstellung. Das Interessante war neben der durchweg positiven Energie und dem Spaß über die zwei Tage auch die Heterogenität der Teilnehmer – von General Counsels über Partner und Associates unterschiedlicher Kanzleien, Programmierern, Legal Techies und Studenten war alles dabei. Genau das hatten wir auch beabsichtigt, denn: erst durch die hierarchiefreie Kollaboration mit anderen Disziplinen ergeben sich intensive Einblicke in die Bedürfnisse der anderen, entwickelt sich Empathie und Verständnis für die Herausforderungen aus verschiedenen Blickwinkeln so dass im Ergebnis Ideen entwickelt werden, die für alle Beteiligten an einer Aufgabenstellung Sinn machen.

Die Veranstaltung war ein voller Erfolg, hat allen total Spaß gemacht und wurde von den Teilnehmern zu 100% weiterempfohlen – leider haben Tamay und ich dieses Jahr nicht genügend Kapazitäten gehabt, um das Event zu wiederholen. Es gibt aber Pläne für das kommende Jahr, dann vss. in Kooperation mit der Bucerius Law School. Sobald es konkrete Termine gibt, sage ich hier auf dieser Plattform gerne Bescheid.

Abgesehen davon überlege ich natürlich weiter, welche Veranstaltung hier in Deutschland sonst interessant wäre – in der Zwischenzeit stehe ich natürlich gerne für individuelle Fragen und Projekte zur Verfügung.

Herzlichen Dank, Frau Kohlmeier, für das ausführliche Interview! Mehr zu Astrid Kohlmeier erfahren Sie auf ihrer persönlichen Webseite.

Alle Welt spricht von der Durchsetzung von Verbraucherrechten. Aber was ist mit Unternehmerrechten? Wer gründet ein Legal Tech für Unternehmer?

Legal Tech bisher nur auf Verbraucherseite

Den ersten Impuls in diese Richtung setzte im Sommer 2019 der Münchener Rechtsanwalt Tom Brägelmann mit einem inzwischen nicht mehr verfügbaren Beitrag auf dem Kurznachrichtendienst Twitter. Er bemerkte mit Blick auf die aktuelle Diskussion um den Berliner Mietendeckel, dass Legal-Tech-Dienstleister wie selbstverständlich stets nur auf Seiten der Verbraucher agieren. Demgegenüber sei es durchaus denkbar, auch Unternehmerrechte bis zum Anschlag durchzusetzen. Im Bereich reiner Geldforderungen gibt es zwar seit langer Zeit die klassischen Inkassodienstleister, die sich um die Durchsetzung üblicherweise zwei- bis dreistelliger Summen kümmern. Bleibt dabei aber trotz allem eine Marktlücke für Legal-Tech-Einsteiger?

Wie hilfsbedürftig sind Unternehmer?

Im Grundsatz kann man zunächst zwei Typen von Unternehmern unterscheiden. Da sind zum einen die Großunternehmen mit eigenen Rechtsabteilungen, die in der Regel wissen, was sie tun und welche rechtlichen Risiken sie eingehen. Sie werden regelmäßig von Großkanzleien beraten, wo Legal-Tech-Anwendungen vorrangig kanzleiintern zum Einsatz kommen. Zum anderen gibt es aber auch mittlere und kleine Unternehmen mit wenig Rechtskenntnis, Konflikterfahrung und Risikobereitschaft. Das Paradebeispiel sind Existenzgründer, die im Rechtsverkehr teilweise so unbedarft auftreten, dass der Gesetzgeber sie Verbrauchern gleichstellt, wenn sie mit „normalen“ Unternehmern bestimmte Geschäfte machen, vgl. § 513 BGB und § 655e Abs. 2 BGB. Solche „schwachen“ Unternehmer finden sich durchaus auch in Bereichen, in denen heute bereits Legal Techs auf Verbraucherseite tätig sind. So unterfallen zwar viele Vermieter dem Unternehmerbegriff des § 14 Abs. 1 BGB, gehen die Vertragsgestaltung und Rechtewahrnehmung aber recht hemdsärmelig an. Gegen eine per Legal Tech erstarkte Verbraucherin auf der Gegenseite haben sie regelmäßig wenig Chancen. Ein Legal-Tech-Dienstleister für Gelegenheitsunternehmer ist gleichwohl bis heute nicht bekannt.

Flightright für Airlines…

Der erste Legal-Tech-Dienstleister für Unternehmer, der unlängst durch einen lesenswerten Beitrag im Legal Tribune Online bekannt wurde, wendet sich kurioserweise an Großunternehmen und damit an Kunden, bei denen man a priori nicht unbedingt eine große Nachfrage vermuten würde. Das Startup justclaims bietet Airlines an, Verbraucheransprüche wegen Flugverspätung für sie zu managen. Es geht also nicht um die Durchsetzung von Unternehmeransprüchen, sondern um die Abwehr von Verbraucheransprüchen. Justclaims möchte einerseits den Flightrights dieser Welt in Streitigkeiten die Stirn bieten. Andererseits versucht das Unternehmen, durch frühzeitige Prüfung geltend gemachter Verbraucheransprüche zu verhindern, dass Fluggäste überhaupt ihrerseits einen Legal-Tech-Dienstleister einschalten. Fluggesellschaften, die diese Strategie fahren, würden dann geltend gemachte Ansprüche womöglich nicht mehr einfach auszusitzen versuchen. Stattdessen könnten sie die Forderungen zumindest in denjenigen Fällen freiwillig bedienen, in denen sie die Einschaltung von Flightright & Co. antizipieren und ihre eigenen Prozessrisiken sehr hoch einschätzen.

Automatische Rechtsdurchsetzung?

Sollte das am Ende dazu führen, dass Verbraucher ihr Geld bekommen, ohne einen Finger rühren zu müssen? Daran darf man vielleicht doch zweifeln, solange die Airlines nicht die – technisch ohne Weiteres mögliche – automatische Auszahlung von Entschädigungen implementieren. Das Beispiel zeigt aber auch: Überraschungen gibt es immer wieder. Alle Akteure haben gewisse Rechte, und überall dort, wo Rechte in großer Zahl brach liegen, darf man mit Startups rechnen, die sich fast ganz uneigennützig darum kümmern…

In Sachen Legal Tech fehlt es schwer Anschluss zu finden, sei es während des Studiums oder im Beruf. Zwar hat jeder schon etwas davon gehört und eine Vorstellung davon was das eigentlich ist, doch fehlt häufig ein Startpunkt zur tieferen Auseinandersetzung. Wie also lernt man Legal Tech?

Warum man sich mit Legal Tech auseinandersetzen sollte

Zuvor muss jedoch geklärt werden, warum eine tiefere Auseinandersetzung mit dem Thema Legal Tech lohnenswert ist. Um hierauf eine Antwort zu finden müssen die verschiedenen Akteure im Bereich Legal Tech getrennt voneinander betrachtet werden.

Juristen und angehende Juristen

Die Berufsmöglichkeiten für Juristen sind vielfältig. Seit einiger Zeit suchen Kanzleien explizit nach Legal Tech Spezialisten. Diese werden vor allem zur Innovation interner Prozesse eingesetzt und haben abwechslungsreiche Aufgaben.

Selbstverständlich suchen auch Legal Tech Start-ups ständig nach qualifizierten Juristen mit Legal Tech Verständnis.

Doch selbst wer eine traditionelle Laufbahn als Jurist anstrebt, bleibt wohl kaum von der Digitalisierung verschont. In immer mehr Kanzleien werden Legal Tech Tools eingesetzt. Wer bereits technisches Know-how und Legal Tech Verständnis mitbringt arbeitet also von Anfang an effizienter und wird für Arbeitgeber immer attraktiver.

Entwickler

Auch für Entwickler kann es von Vorteil sein, sich mit dem Thema Legal Tech auseinanderzusetzen. Ein grundlegendes Verständnis der rechtlichen Systematik kann ein erheblicher Wettbewerbsvorteil sein, wenn es um die Entwicklung von Legal Tech Anwendungen geht. Zudem ist Legal Tech im Vergleich zu bspw. FinTech immer noch eine kleine Nische. So ist der Markt noch nicht gesättigt und die Entwicklung von Legal Tech Tools sehr attraktiv für Entwickler.

Unternehmer

Legal Tech kann auch für Nicht-Juristen eine vielversprechende Branche sein. Häufig sind Gründer von Legal Tech Start-ups keine Juristen. Wie auch für Entwickler ist Legal Tech eine vielversprechende Nische, was die Auseinandersetzung mit dem Thema interessant macht.

Kann man Legal Tech überhaupt lernen?

Als unterstützende oder ersetzende Digitalisierung juristischer Arbeitsprozesse verbindet Legal Tech die Themenschwerpunkte IT und Jura. Kaum jemand wird aber nach erfolgreichem Abschluss als Volljurist noch ein Informatik-Studium anhängen wollen oder umgekehrt. Dies ist auch nicht notwendig. Vielmehr gilt es ein Verständnis dafür zu entwickeln, welche juristischen Arbeitsschritte Digitalisierungspotential bergen, wo es Schnittpunkte der rechtlichen Systematik und der informationstechnischen Logik gibt und welche Tools Rechtsanwender und Konsumenten für eine effizientere und einfachere Rechtsfindung benötigen. Gefordert ist also ein umfassendes Verständnis für zumindest eine der beiden Welten gepaart mit einem zumindest grundlegenden Verständnis der anderen Welt.

Also wie lernt man Legal Tech?

Doch wie lernt man nun Legal Tech? Ein Studium namens Legal Tech existiert nicht. Auch ein Legal Tech Lehrbuch sucht man vergebens. Um das zu ändern wurde von Daniella Domokos eine Initiative zur Erstellung eines Open Source Legal Tech Lehrbuchs in die Welt gerufen. Zum Projekt geht es hier.

Doch auch schon jetzt gibt es vielfältige Möglichkeiten Legal Tech zu lernen.

Vorlesungen

An vielen Universitäten gibt es schon Vorlesungen zum Thema Legal Tech. Falls es an Eurer Uni noch keine Veranstaltungen zum Thema Legal Tech gibt, verweise ich auf die Vorlesung Legal Tech von Martin Fries, die auf YouTube verfügbar ist.

Praktika

Auch im Rahmen von Praktika, seien es Pflichtpraktika während des Studiums oder freiwillige, können Kenntnisse zum Thema Legal Tech erlangt werden.

Dies ist einerseits möglich in Form von Praktika direkt bei Legal-Tech-Unternehmen oder als Praktikum bei einer Kanzlei, die sich bereits dem Thema widmet. In vielen Kanzleien existieren schon Arbeitsgruppen zur Weiterentwicklung in diesem Bereich in denen oft vor allem junge Mitarbeiter und auch Praktikanten eingesetzt werden.

Hackathons

Für Personen, die sich bereits ein wenig mit der Thematik auseinandergesetzt haben, bieten sich sogenannte Hackathons an. Das sind Events bei denen innerhalb einer vorgegebenen Zeit Softwareprodukte herzustellen sind. Meist geschieht dies in interdisziplinären Gruppen aus Juristen und Entwicklern. Häufig veranstalten große Kanzleien diese Veranstaltungen und geben ein bestimmtes Thema oder eine Zielsetzung vor.

Meetups

Auch gibt es in vielen großen Städten Meetup Gruppen zum Thema Legal Tech. Diese veranstalten Treffen für Legal Tech Begeisterte mit verschiedenen Schwerpunkten. Die größten dieser Gruppen sind in Frankfurt a.M., Berlin, Hamburg und München ansässig.

Eigeninitiative

Selbst wenn noch ein paar Jahre ins Land ziehen bis zum ersten Legal-Tech-Lehrbuch, bestehen bereits zahlreiche unterschiedliche Möglichkeiten, sich mit Legal Tech auseinanderzusetzen.  Was all diese gemein haben ist, dass sie ein gesundes Maß an Eigeninitiative erfordern. Wer up to date bleiben möchte findet spannende Events zum Thema Legal Tech in unserem Event-Kalender.

Die heißeste Legal-Tech-Rechtsfrage im Sommer 2019 lautet: Was ist Inkasso? Ursprünglich stand der Begriff für die Beitreibung der Beträge aus offenen Rechnungen. Heute nutzen auch Legal-Tech-Dienstleister die Inkassoerlaubnis nach §§ 2, 10 ff. RDG, um Verbraucheransprüche massenweise durchzusetzen. Und bekommen dabei im Zuge des VW-Abgasskandals neuerdings erheblichen Gegenwind. Am 16. Oktober 2019 verhandelt der Bundesgerichtshof (Az. VIII ZR 285/18) über die Sache. Worum geht’s und wohin geht die Reise?

Legal Tech und RDG: Wer spielt das Spiel?

Der Gesetzgeber hat Inkassodienstleistungen in § 2 Abs. 2 S. 1 des Mitte 2008 in Kraft getretenen Rechtsdienstleistungsgesetzes (RDG) geregelt. Er privilegiert Inkassounternehmen gegenüber der „normalen“ Rechtsberatung: Sie müssen ein Registrierungsverfahren durchlaufen und dabei ihre Sachkunde nachweisen, unterfallen aber nicht den strengen Qualifikationsvorschriften und Fremdbeteiligungsverboten des § 59e BRAO. Das kam Legal-Tech-Dienstleistern seit jeher gerade recht, weil ihre Gesellschafter in aller Regel nicht ausschließlich Volljuristen sind. Seit vielen Jahren segelten daher Flightright, Myright und Mietright im Wesentlichen unbehelligt unter der privilegierten Inkassoflagge. Zu Recht?

Wie wird der BGH entscheiden?

In der juristischen Fachliteratur wird mit Verve darüber gefochten, wie der BGH entscheiden sollte. Die Vertreter eines konservativen Ansatzes warnen vor einem „Ausverkauf des Rechts“ (Greger, MDR 2018, 897, 901). Derweil begrüßen die Anhänger eines liberalen Ansatzes den „Anfang vom Ende des Anwaltsmonopols“ (Kleine-Cosack, AnwBl Online 2019, 6) als Chance für einen ungehinderten Zugang zum Recht für Verbraucher. Derweil verweist das am konkreten Verfahren beteiligte Berliner Legal-Tech-Startup auf das Bundesverfassungsgericht, das den Vorläufer des § 2 RDG im Lichte der Berufsfreiheit nach Art. 12 GG sehr liberal ausgelegt hat.

„Inkassounternehmer haben … nicht nur die Aufgabe schlichter Mahn- und Beitreibungstätigkeit, also einer kaufmännischen Hilfstätigkeit, die nicht als Besorgung fremder Rechtsangelegenheiten anzusehen wäre. Sie übernehmen die Verantwortung für die wirkungsvolle Durchsetzung fremder Rechte oder Vermögensinteressen. Typisierend kann deshalb unterstellt werden, dass beim Forderungseinzug in allen seinen Formen auch Rechtsberatung zu leisten ist.“
(BVerfG v. 20. Februar 2002, 1 BvR 423/99, Volltext)

Der VI. Zivilsenat des BGH ist diesem weiten Verständnis unlängst gefolgt und hat sogar die Kündigung einer Lebensversicherung als Teil der Inkassotätigkeit anerkannt (Urteil v. 10. Juli 2018, VI ZR 263/17, Volltext).

Stoff für eine Examensklausur?

Während der VIII. Senat des BGH noch die Akten studiert, bietet die beschriebene Konstellation natürlich idealen Stoff für eine Examensklausur. Denkbar wäre einerseits ein mietrechtlicher Fall mit „Legal-Tech-Anhänger“, bei dem über die Wirksamkeit der Forderungszession an den Rechtsdurchsetzungs-Dienstleister zu diskutieren ist. Möglich wäre aber auch eine grundrechtliche Prüfung am Maßstab des Art. 12 GG. Die große Frage wäre dabei, ob ein enges Halfter für Inkassounternehmen geeignet, erforderlich und angemessen ist, um das Ziel einer möglichst hochwertigen Rechtsberatung zu erreichen. Dahinter darf man zumindest ein großes Fragezeichen setzen.

Food for further thought

Es gibt bereits umfangreiche Literatur zur aktuellen Diskussion um das richtige Verständnis des Rechtsdienstleistungsgesetzes und zu Regelungsoptionen für den Gesetzgeber. Siehe dazu den eigenen Abschnitt in unserem Literaturfinder.

 

Meistens bewegen sich Juristen in den vorgegebenen Pfaden der Rechtsordnung. Im Bereich Legal Tech dürfen Juristen aber als Produkt-Ersteller selbst Regeln vorgeben, denen sich der Entwickler beugen muss. Doch wie gelingt die Kommunikation mit den Entwicklern?

Phasen

Es ist wichtig einen möglichst klaren Ablauf bei der Produktentwicklung zu verfolgen. Am Anfang ist es nicht wichtig kleinste Design-Details zu besprechen und am Ende sollten keine grundsätzlichen Funktionen mehr umgeworfen werden. Je weniger nachträglich geändert werden muss, desto schneller und kostengünstiger verläuft die Entwicklung.

Grob kann die Entwicklung in folgende Phasen aufgeteilt werden:

  1. Idee: Alles beginnt mit der Idee für ein digitales Produkt oder Feature.
  2. Konzeption: Zunächst wird grundsätzlich festgelegt, wie welches Problem gelöst werden soll. Das Design sollte dabei eine untergeordnete Rolle spielen, viel mehr kommt es auf die logische Konzeption an. Es bietet sich bereits hier an, ein erstes Feedback vom Entwickler und Designer einzuholen.
  3. Definition: Nun werden funktionale Details angegangen. Welche Schritte durchläuft der Nutzer? Welche Funktionalitäten sind dafür nötig? Welche Daten sind erforderlich? Wie soll das Produkt aussehen und sich anfühlen? Hierbei wird interdisziplinär gearbeitet und sowohl der Jurist als auch der Designer sowie der Entwickler bringen ihre Ideen ein und arbeiten an einem konzeptionellen Gesamtwerk.
  4. Design: Auf Basis erster Entwürfe wird vom Designer die Benutzeroberfläche erarbeitet.
  5. Implementierung: Nun setzt der Entwickler die Vorgaben um und verbindet den inhaltlichen Input, die Logik und das Design.
  6. Testing: Zuletzt wird das Produkt getestet.

Konzeption

Die Kommunikation mit dem Entwickler ist also bereits in der Konzeption des Produkts essenziell. Dabei können bereits erste, einfache Mock-ups (also Vorführmodelle) erstellt werden. Es sollten nicht bereits zu viele Details herausgearbeitet werden, sondern grundlegende Funktionen im Vordergrund stehen: Wie sieht der Start-Bildschirm aus? Was kann der Nutzer als nächstes machen? Wie sieht das Ergebnis aus?

Verwendet werden können dabei Tools wie bspw. Photoshop oder Figma. Allerdings sind auch erste Skizzen in Powerpoint oder Word möglich.

Je offener und detailärmer die Mock-ups am Anfang sind, desto zugänglicher ist man noch für sinnvolle Änderungen. Denn der Designer und der Entwickler können bereits auf Fehler bzw. auf Nachteile der Skizzen hinweisen. Es ist immens wichtig, dass zunächst die grundlegende Architektur des Produkts festgelegt wird. Dazu zählt die Datenbank-Architektur, die grundlegende Funktionalität und der Design-Entwurf. An diesen drei Säulen sollte wenn möglich später nicht mehr gerüttelt werden.

Vorgaben definieren

Sofern das grundlegende Gerüst des Produkts steht, können die weiteren Vorgaben definiert werden. Es scheint trivial zu sein, was bei dem Klick auf eine bestimmte Schaltfläche passieren soll. Allerdings entwickeln Entwickler meist genau das, was man ihnen vorgibt. Niemand kennt den potentiellen Nutzer jedoch so gut, wie der Rechtsanwender selbst. Wenn nur ein bestimmter Teil der Funktionalität definiert ist, wird der Entwickler den Rest hingegen so entwickeln, wie er es für richtig hält oder Nachfragen stellen.

Das kann teilweise gewünscht und erfolgsversprechend sein. Am sinnvollsten ist es jedoch, alles was aus Nutzer-Perspektive wichtig ist, vorab zu definieren. Dazu gehört, wie das Produkt aussehen soll, wie es sich anfühlen soll und was passieren soll, wenn man auf eine Schaltfläche klickt, etwas eingibt oder sonstige Handlungen vornimmt. Wie das technisch umgesetzt werden soll, sollte – sofern beim Jurist selbst keine hinreichende Kompetenz in diesem Bereich besteht – dem Entwickler offen gelassen werden.

In der Praxis zeigt sich, dass es für Entwickler hilfreich ist, zu wissen, warum etwas so programmiert werden soll, wie es vorgegeben wurde. Dadurch ergeben sich nämlich weitere Zusammenhänge, die für die Entwicklung nicht definierter Einzelheiten bedeutend sein könnten. Je klarer ist was das Produkt genau können soll und warum das für den Nutzer wichtig ist, desto leichter können Entscheidungen bei der Entwicklung getroffen werden.

Planung

Teilweise bergen augenscheinlich einfache Features einen immensen Entwicklungsaufwand, während kompliziert scheinende Features schnell entwickelt werden können. Niemand kann besser einschätzen, wie lange die Entwicklung eines Features dauert, als der Entwickler selbst. Daher sollte den Angaben des Entwicklers vertraut werden und nicht unnötig Druck durch zu kurze Fristen aufgebaut werden.

Softwareentwicklung verstehen

Wer versteht, wie Programme funktionieren, kann Vorgaben realistisch definieren. Wer also die Kommunikation mit Entwicklern bedeutend erleichtern möchte, sollte sich Grundlagen der Softwareentwicklung aneignen. Dabei ist grundsätzlich erst mal egal welche Programmiersprache man lernt, da die grundlegenden Konzepte oft ähnlich sind. Ein Entwickler wird es einem bereits unendlich hoch anrechnen, wenn man versteht, wie eine Datenbank funktioniert, was eine bedingte Anweisung ist und wie Variablen genutzt werden können.